stadtgeflüster
Orientierungslos in der Altstadt

14.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:37 Uhr

(mbl) Ein abendlicher Spaziergang an einem ganz normalen Dienstag durch die Ingolstädter Altstadt kann ja so entschleunigend sein.

Das hat zum einen damit zu tun, dass zu Wochenbeginn das oft gescholtene Nachtleben in der Stadt ohnehin nicht stattfindet. Schon gar nicht dann, wenn der triste November sein ungemütliches Kostüm aus Diesigkeit und Nebel überstreift. Wir schlendern also alleine durch die Gassen, lassen die Gedanken schweifen, atmen die kühle Luft und genießen einen Hauch einsamer Stille.
Stille? Plötzlich zerreißt ein Hupen die flüsternde Dunkelheit. Es dringt hallend aus der Schulstraße, dort, wo diese in die Straße Am Stein mündet. Ein weißer Transporter mit brennenden Scheinwerfern und laufendem Motor steht genau da - mitten in der Gasse. Dann folgt wieder ein Hupen, dann eine ganze Kaskade aus energischen Hupsignalen, die wohl eines deutlich machen sollen: Bahn frei! Der Transporter ist es nicht, der so eindringlich auf sich aufmerksam macht. Er verharrt weiter unbeirrt an derselben Stelle. Wir schauen uns den Wagen genauer an und stellen anhand des Kennzeichens fest: Das Fahrzeug stammt aus Osteuropa so wie vermutlich auch der Fahrer. Der weiß offenbar nicht auf Anhieb, in welche Richtung es nun weiter geht - links herum in die Harderstraße oder nach rechts, direkt hinein in die Fußgängerzone. Kein drängendes Orientierungsproblem für den Mann hinter dem Steuer, wie es scheint. Schließlich ist die Stadt gerade so gut wie menschenleer und autofrei. Niemand hastet, niemand drängt. Wäre da nicht ein offensichtlich ungeduldiger Taxifahrer, der mit seinem Wagen hinter dem Lieferauto festsitzt und seiner Ungeduld hupend freien Lauf lässt, als warte Graf Koks höchstpersönlich auf Abholung. Das Lieferauto gibt schließlich nach und setzt sich in Bewegung. Das Taxi rauscht ab Richtung Fußgängerzone. Es findet sich kurze Zeit später am Taxistand beim Rathausplatz wieder. Einen Fahrgast hatte es demnach nicht an Bord und offenbar auch keinen auf der Warteliste. Der Fahrer ist ausgestiegen und plaudert mit einem Kollegen. Von der großen Hektik, die er eben noch verbreitete, keine Spur. So entschleunigend kann der Aufenthalt in der Stadtmitte also auch für einen Taxler während der Schicht sein, vorausgesetzt kein Lieferwagen stört die herbstliche Tristesse in der Schanz - sucht dessen Fahrer nachts in der gähnend leeren Altstadt auch noch so angestrengt nach dem richtigen Weg.