Stadtgeflüster
Wischend durch die Fußgängerzone

18.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:28 Uhr

(ada) Die Ausprägung des aufrechten Ganges ist, darüber sind sich Wissenschaftler heutzutage einig, unbestritten einer der wichtigste Bausteine in der Evolution des Menschen vom einfach strukturierten Primaten zum heutigen Homo sapiens.

Damals, vor rund zehn Millionen Jahren oder auch etwas mehr, reckten Savannenbewohner im östlichen Afrika immer öfter ihre Köpfe in die Höhe, richteten sich auf und weiteten so ihren Horizont. Dadurch gewannen sie nicht nur den Überblick, sondern sie konnten auch Beute und Feinde schneller orten. Somit gewannen sie einen unschätzbaren Vorteil gegenüber ihren am Boden herumwuselnden Mitbewohnern. Ein wachsendes Gehirn tat sein Übriges, und die Evolution setzte die Erfolgsgeschichte der Menschheit in Gang.

Seit dem Jahr 2007 ist es damit jedoch vorbei. Damals kamen die ersten Wischkästchen, genannt Smartphones, eines amerikanischen Herstellers auf, und der gebückte Gang bei gleichzeitigem Starren auf eine kleine Glasscheibe läutete eine Umkehr der Evolution ein. Zunächst nur als eine Marotte der Jugend belächelt, breiteten sich die Kästchen rasend schnell in alle Generationen aus. Selbst honorige Senioren sieht man heute vornübergebeugt, die Lesebrille auf der Nasenspitze balancierend, wischend und dabei die Welt vergessend, durch die Fußgängerzone stolpern.

Daher ist es nur zu begrüßen, dass unsere vorausschauenden Stadtväter und die in Berlin beheimateten Planer unserer neuen Fußgängerzone dieser Entwicklung Rechnung tragen. Dort, wo man in anderen Städten in Augenhöhe und voller Stolz repäsentative Tafeln an stadtgeschichtlich wichtigen Gebäuden anbringt, gibt es bei uns stattdessen in Zukunft Erklärungen, die auf in den Boden eingelassenen Metalltafeln zu lesen sind. Dies hat den unschätzbaren Vorteil, dass man den Blick auch bei der Betrachtung der Sehenswürdigkeiten nicht mehr heben muss. Und wenn man den Namen der Sehenswürdigkeit dann noch in eine Internet-Suchmaschine eintippt, findet man vermutlich sogar ein Foto. Und das schaut, nebenbei bemerkt, in der Regel auch schöner aus als das Gebäude in Wirklichkeit, hat sich der Fotograf doch meist Mühe gegeben, das Objekt von seiner Sonnenseite herzuzeigen.

Problematisch wird es nur bei starker Kurzsichtigkeit. Während man an eine Tafel an der Wand einfach näher herangehen kann, muss man sich, wenn diese sich auf dem Boden befindet, weit nach unten bücken oder schlimmstenfalls sogar auf die Knie gehen. Doch dies trifft ja genau den Trend.

Wundern wir uns also nicht, wenn die Menschen in Zukunft an den Sehenswürdigkeiten unserer Stadt gebückt vorübereilen, gleichzeitig dabei hektisch auf ihren Telefonen herumwischen, stets von der Unruhe getrieben, irgendetwas Wichtiges zu verpassen. Dabei wäre es so leicht: Einfach mal wieder den Blick heben und den Horizont ein wenig weiten.