Balanceakt auf den Kreditlinien

18.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:53 Uhr

Ankündigung einer "ungewöhnlichen Maßnahme": In diesem Brief an alle Mitarbeiter von Continental in Deutschland teilt der Konzern mit, die Gehälter ab Juli wenige Tage später zu überweisen. "Wir spielen immer mit offenen Karten", sagt ein Unternehmenssprecher. - Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Die Milliardenschulden machen es nötig: Continental-Mitarbeiter bekommen ihr Gehalt ab Juli einige Tage später überwiesen, damit Zinszahlungen nicht gefährdet werden. Der Konzern und der Betriebsrat des Ingolstädter Conti-Werks betonen unisono: "Das hat nichts mit Liquiditätsproblemen zu tun!"

Die Mitteilung der Geschäftsführung erreichte die 45 000 in Deutschland tätigen Mitarbeiter vorgestern per Brief und ließ auf den ersten Blick Ungemach befürchten: Die Überweisung der Ende Juni fälligen Löhne und Gehälter will Continental "um wenige Tage in den Juli verschieben". Hintergrund der Maßnahme: die Milliardenschulden des Unternehmens – eine Last, die unter dem Druck der Wirtschaftskrise ungewöhnliche Schritte provoziert. Doch sowohl die Konzernzentrale in Hannover als auch der Betriebsrat von Conti Temic in Ingolstadt bemühten sich gestern, dem Vorgang alle Dramatik zu nehmen und die Kollegen zu beruhigen. "Das hat überhaupt nichts mit Liquidität zu tun", erklärten Betriebsratschef Erwin Wörle und Unternehmenssprecher Hannes Boekhoff unisono. Von einem Krisensignal könne keine Rede sein.

Das sei eine "einmalige Vorsorgemaßnahme zur Absicherung stichtagbezogener Bilanzkennzahlen", stellte Wörle fest. Bisher habe er dazu keine besorgten Anfragen aus der Belegschaft erhalten. Der Betriebsratschef erklärte den für Laien recht komplizierten Zusammenhang: "Wenn die Kreditlinien zum Prüfungsstichtag 30. Juni dieses Jahres um eine Kommalänge verpasst werden würden, und der Konzern dann mit neuen Kreditverträgen 20, 30 oder 50 Millionen Euro mehr an Zinsen bezahlen müsste, würde mich es verdammt ärgern, weil dann unnötigerweise auf die Beschäftigten noch weiterer Druck entstehen würde. Deshalb sehe ich darin eine Maßnahme zur Vorsorge, um die Interessen der Beschäftigten zu wahren." Von der Personalabteilung habe er die Zusicherung erhalten, "dass eventuelle Problemfälle zuvorkommend behandelt werden".

Ganz ähnlich stellt Continental-Sprecher Boekhoff die verzögerte Gehaltsauszahlung dar: "Das ist eine Vorkehrung, um die mit unseren Kredit gebenden Banken vereinbarten Konditionen einhalten zu können." Bei 45 000 Mitarbeitern in Deutschland komme natürlich eine stattliche Summe zusammen, wenn es ans Entlohnen gehe, erklärte Boeckhoff. Zu jedem Quartalsende würden die erwähnten Bilanzkennzahlen gemessen. Da empfehle es sich, am Stichtag den Schuldenstand möglichst gering zu halten, um kein Risiko einzugehen. Mit Engpässen habe das gar nichts zu tun. Zur Bekräftigung weist Boeckhoff auf das "Liquiditätspolster" von Continental hin: Es betrug Ende März 2,9 Milliarden Euro. Er hofft auf das Verständnis der Belegschaft. "Wir spielen immer mit offenen Karten."

Auch die IG Metall Ingolstadt beurteilt den geänderten Zahlungsmodus mit Gelassenheit. Vor einem Jahr hätte ihn derlei noch sehr überrascht, sagte der Erste Bevollmächtigte Johann Horn. Aber in der Krise sei vieles plötzlich anders. "Wir können eigentlich nichts mehr mit normalen Maßstäben messen."