"Darf das Kanzler werden"

14.09.2008 | Stand 03.12.2020, 5:36 Uhr

Mit Strauß an die Macht: Landesvorsitzender Gerd Bruckner, Generalsekretär Bernd Sandner und Matthias Lissmann (v. r.) gaben in der Antoniusschwaige alles, um den Ruhm ihrer Partei zu mehren. - Foto: Silvester

Ingolstadt (DK) Sie ist eine Erfindung der Satire-Zeitschrift Titanic und strebt jetzt ganz ernst an die Macht: die Partei. Beim Landesparteitag am Samstag in einem Hinterzimmer der Antoniusschwaige in Ingolstadt führten die Mitglieder vor, dass es nicht immer nur lustig zugeht, wenn Satire auf Realität stößt.

Der Weg an die Macht kreuzt mitunter obskure Orte. Für drei junge Ingolstädter beginnt die politische Karriere auf der Herrentoilette der Antoniusschwaige. Der Jürgen hat sie dort angeworben und gleich mit rüber ins Hinterzimmer zum Landesparteitag genommen.

Lustige Verdrossenheit

Die Novizen werden mit warmem Applaus empfangen. Jürgen, recht lange Haare, Bart, Intellektuellenbrille, Typ Soziologiestudent im 28. Semester, amtiert als Nürnberger Ortsgruppenleiter der "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative", kurz: Die Partei. Er überredet die WC-Besucher zu einer Bundestagskandidatur. Eben noch beim Bieseln, eine Stunde später auf der Landesliste – solche Werdegänge generiert eine Spaßpartei. Die Partei, jenes clowneskes Protestprojekt der Titanic-Redaktion. Die vielleicht lustigste Form der Verdrossenheit, seit es Politik gibt.

Allerdings stößt die Witzigkeit im überfüllten Tagungszimmer rasch an ihre Grenzen. Das humoristische Potenzial des bayerischen Landeswahlrechts erweist sich als übersichtlich. Die Mitglieder der Partei ringen mit Regularien, quälen sich durch Abstimmungen und Satzungen, nerven sich mit Geschäftsordnungsanträgen. "Ey, wo kommt n’ des ganze Zeuch her", klagt Günter, recht lange Haare, Bart, Intellektuellenbrille, Typ Soziologiestudent im 34. Semester und auch aus Nürnberg. Er hat noch Stimmzettel entdeckt, obwohl der Wahleimer längst geleert worden ist. Jürgen setzt sich lärmend für Jutta ein: "Unsere Männerbeauftragtin!" Stefan Veith, der agrarpolitische Sprecher der Partei, postuliert: "Brecht die Vorherrschaft der BayWa!" Günter fordert mit Inbrunst den "Kampf für die Entstoiberung der Bürokratie!"

Schnell geht es zurück in die geheimnisvolle Welt der Paragrafen. Satzungslektüre, Aussprache, Stichwahl. Der Generalsekretär und einzige Anzugträger, Bernd Sandner aus Weichering, kreist mit dem Eimer durchs Zimmer. Die zwei Dutzend Anhänger der Partei werfen ihre Zettel ein. Horst, der neben Jutta sitzt, weiß: "Des is alles ernst! Bei den Formalitäten kannst ned blödeln."

Immerhin ist die Dekoration zum Lachen. Perlen aus 29 Jahren Satirearbeit der Zeitschrift Titanic zieren das bieder-bayerischer Gemütlichkeit huldigende Zimmer. Darunter Klassiker wie das Poster mit einem Foto Angela Merkels, das lang vor ihrer ersten Typberatung aufgenommen wurde. Dazu der Satz: "Darf das Kanzler werden" Daneben Neues: "Wir lügen bis zu 53 Prozent weniger als CSU-Politiker." Oder: "Wir fordern eine starke Raucherzone!". Zu sehen ist eine Deutschlandkarte mit der Bundesrepublik als Blumenwiese und der DDR als überfülltem Aschenbecher.

Vor dem Landesvorsitzenden Gerd Bruckner schmückt ein gerahmtes Foto von Franz Josef Strauß das Podium. Bruckner, 50, ist Medienunternehmer aus München, ehemaliges Mitglied der CSU und Urgroßneffe des Komponisten Anton Bruckner. Vor allem ist er ein impulsiver Redner mit Hang zur Selbstironie. Auch ihn plagt die graue Theorie. "Wir erfüllen nur die Drecksformalitäten der Staatsmacht!" Wenn die nicht wären, "dann würden wir ganz andere Nummern abziehen!" "Jawoll!", tönt es ihm entgegen. "Orgien!", ruft einer, "Wahlorgien!", präzisiert ein anderer.

Mal erinnert der Landesparteitag an einen sozialpädagogischen Workshop, mal an eine Karnevalssitzung, mal an eine Wohngemeinschaft der Achtziger, die eine Abwaschordnung ausdiskutiert. So kann’s gehen, wenn Satire auf Realität trifft, wenn sich Dadaismus und Bürokratismus paaren müssen.

Punkt für Punkt, Paragraf für Paragraf schleppen sich die Parteifreunde vorwärts. Formal korrekt und immer genervter. Die Beschlussfähigkeit unterliegt Schwankungen, denn dauernd ist irgendeine eine Fraktion der überaus nikotinorientierten Partei draußen beim Rauchen. Bei zwei selbst Gedrehten erläutern Horst und Jutta den Unterschied zwischen ihrer Truppe und richtiger Politik: "Wir demaskieren das System. Politik ist immer Realsatire. Aber nur wir haben’s bemerkt."

Für Europa? Freilich!

Drinnen regieren weiterhin die Regularien. Jetzt geht es um die Europawahl. Arno Kral geht herum und fragt jeden: "Kandidierst du" "Für was", fragt eine Taxifahrerin aus Nürnberg. "Europa." – "Freilich!"

Der Landesvorsitzende widmet sich nun bunteren Themen, referiert über die Waschmaschinentauglichkeit der Partei-T-Shirts, preist den "Ultimativen Polit-Guide für Aktivisten nicht nur für Partei-Mitglieder" an (druckfrisch, Auflage 100 Stück, was den Preis von 20 Euro erklärt) und zeigt Fotos aus dem Wahlkampf, die an einem Münchner FKK-Strand entstanden sind. Lustige Funktionäre beim Unterschriftensammeln. Die Stimmung hellt sich auf.

Der Spaß ist für den Abend vorgesehen. Da wird Bruckner seine programmatische Rede vortragen. Zuvor werden noch schnell ein paar Formalien erfüllt. Satzungsrechtliche Aspekte und so, strukturelle Fragen der Landesverbandsorganisation, Einhebung von Parteispenden. Eher Feinheiten. "Das muss leider sein", sagt Bruckner. "Nur für den Fall, dass wir mal an die Macht kommen.