"Was habe ich jetzt vom Mindestlohn"

18.03.2008 | Stand 03.12.2020, 6:03 Uhr

Betretene Gesichter bei der Ingolstädter PIN-Niederlassung: Rund 150 Briefzusteller verlieren ihren Arbeitsplatz. - Foto: Hiller

Ingolstadt (DK) Wie zahlreiche andere Niederlassungen des insolventen Postdienstleisters PIN Group stellt nun auch die Tochtergesellschaft PIN Mail Ingolstadt GmbH ihre Geschäfte ein. 150 Beschäftigte verlieren zum 1. April ihren Arbeitsplatz.

Die Mitarbeiter werden später erzählen, dass es totenstill im Saal war, als ihnen Geschäftsführer Hermann Fetsch mitteilte, dass PIN Mail Ingolstadt Ende März schließt. Danach habe sich bei den Zustellern Entrüstung und Enttäuschung in zornigen Äußerungen über Staat, Politiker und Deutsche Post entladen. "Frechheit, dass die Post keine Mehrwertsteuer zahlt!" "Blöder Mindestlohn!" Trotz aller Klagen blieb den 150 Beschäftigten am Ende nur eines: Die Gewissheit, zum 1. April gekündigt zu sein, und die Ungewissheit, wie es danach weiter gehen soll.

"Ich habe noch gehofft, dass es eine Lösung gibt", sagt ein Zusteller aus Gaimersheim, der nur rund fünf Monate "Briefträger mit Leib und Seele" war. Mit dem Nebenverdienst bei PIN Mail Ingolstadt hat sich der Schwerbehinderte bisher das Arbeitslosengeld aufgestockt. Das ist jetzt vorbei. "Dabei bin ich wirklich auf die zusätzlichen 159 Euro angewiesen." Wie er die finanzielle Lücke schließen soll, weiß der 59-Jährige bisher nicht. "Es ist eine große Sauerei, dass die Abschaffung des Postmonopols untergraben wird, indem die Deutsche Post von der Mehrwertsteuer befreit ist und die Konkurrenten nicht." Ein 63-jähriger Gaimersheimer, der wie viele seiner Kollegen in Teilzeit arbeitet, ärgert sich hingegen über den Mindestlohn. "Sieben Euro in der Stunde hätten mir doch gelangt! Was habe ich jetzt von den 9,80 Euro"

Eine Kollegin aus Baar-Ebenhausen ist von der Nachricht geschockt. "Ich weiß jetzt überhaupt nicht mehr, wie es weitergehen soll", stammelt sie. Die gelernte Zahnarzthelferin war zum Zeitpunkt ihrer Anstellung ein Jahr arbeitslos und heilfroh, endlich wieder einen Job zu haben. Noch dazu habe ihr die Arbeit unheimlich Spaß gemacht, sagt die 44-Jährige. "Jetzt werd’ ich mich wohl wieder arbeitslos melden müssen." Dass PIN Mail Ingolstadt schließt, habe sie aber schon geahnt. Es habe sich ein "mulmiges Gefühl eingestellt", nachdem die Muttergesellschaft kurz vor Weihnachten in die finanzielle Schieflage geraten war.

Trotzdem war es für viele Mitarbeiter regelrecht ein Schock, dass auch die PIN Mail Ingolstadt im Januar Insolvenz beantragen musste. Denn nach der Eingliederung der vom DONAUKURIER 2005 gegründeten DK-Logistik in das bundesweit agierende Unternehmen PIN Group war es für die Ingolstädter Dependance ein äußerst erfolgreiches Jahr 2007 gewesen. Doch mit dem Beschluss der Bundesregierung, in der Postbranche Mindestlöhne zu etablieren, wendete sich bei dem Post-Konkurrenten das Blatt: Der Hauptanteilseigner des Unternehmens, der Axel Springer Verlag, drehte den grünen Briefzustellern wegen der schlechten Erfolgsaussichten den Geldhahn zu, die PIN Group musste Insolvenz beantragen. Ebenso ein Drittel der Tochtergesellschaften – darunter auch die PIN Mail Ingolstadt, die mit über 70 Prozent der PIN Mail Süd GmbH in Würzburg gehört. Ende März läuft nun am Standort Ingolstadt das Insolvenzgeld aus. Ein finanzkräftiger Investor wurde nicht gefunden.

Auch für die DONAUKURIER Verlagsgesellschaft, die immer noch rund 25 Prozent an der PIN Mail Ingolstadt hält, kommt eine Rückübernahme nicht in Frage. Denn auf Dauer könne eine private Postzustellfirma nur dann Erfolg haben, wenn sie in ein nationales Netz eingebunden sei, sagt DK-Geschäftsführer Wolfgang Lichtenegger. "Aber dieses Netz ist jetzt zusammengebrochen." Außerdem werde kein vernünftiger Unternehmer in einen Betrieb investieren, "für den die Politik Rahmenbedingungen setzt und Erlöse sowie Kosten festlegt." Dies belege auch die Tatsache, dass die vielen Interessenten der PIN-Muttergesellschaft nach Prüfung der Bedingungen ausgestiegen sind. "Die Politik und die staatlich kontrollierte Deutsche Post haben unter Zuhilfenahme einer willfährigen Gewerkschaft ver.di erfolgreich das alte Postmonopol wieder hergestellt", betont Lichtenegger, "und dabei zigtausende Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich vernichtet".

Von der Schließung der PIN Mail Ingolstadt wird nun wohl die Deutsche Post profitieren. Sie übernimmt aller Voraussicht nach zum Beispiel wieder den Zustellservice für die Stadt Ingolstadt, wie Martin Diepold bestätigt. "Es ist natürlich schon eine Umstellung, weil wir wieder selbst frankieren müssen und höhere Preise haben werden", räumt der Sachgebietsleiter der städtischen Poststelle ein. Die Sparkasse Ingolstadt hat bereits in der vergangenen Woche wieder die Deutsche Post mit der Briefzustellung beauftragt. "Die PIN war eine interessante Alternative zur Deutschen Post und hat den Markt belebt", sagt Pressesprecher Jörg Tiedt. "Jetzt sind wir wieder auf den Monopolisten festgelegt."

Das Schicksal der PIN am Standort Ingolstadt scheint besiegelt, für einige andere PIN-Töchter gibt es jedoch noch einen Hoffnungsschimmer: Am 7. März erklärte das Berliner Verwaltungsgericht die Anwendung des Mindestlohns auf die gesamte Post-Branche für rechtswidrig. Das Bundesarbeitsministerium legte Berufung ein, der Mindestlohn bleibt zunächst in Kraft. Wie sich der Gesetzgeber auch entscheidet: Für die Zusteller der PIN Mail Ingolstadt ist es dann schon zu spät. Sie werden bis dahin längst ihre grünen Jacken und Fahrräder abgegeben haben.