Ingolstadt
Teilweise Einstellung im Rattengift-Fall?

Vorwürfe zur Vergiftung der Lebensgefährtin könnten mangels Beweisen unter den Tisch fallen - Angeklagter ist schuldfähig

22.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:47 Uhr
Sie kann einen Einstellungsantrag stellen: Staatsanwältin Sandra von Dahl vertritt im Rattengift-Prozess die Anklagebehörde, die nun abwägen muss, ob sie die Vorwürfe in vollem Umfang aufrechterhalten oder in einem Teilbereich unter den Tisch fallen lassen will. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Im Rattengift-Prozess wird womöglich vom dreifachen Mordversuchsvorwurf nur ein zweifacher übrigbleiben.

Das Schwurgericht hat gestern angeregt, das Verfahren bezüglich jenes Komplexes, der eine mögliche Vergiftung einer früheren Lebensgefährtin des angeklagten Landwirts angeht, mangels hinreichender Beweislage einzustellen.

Ein Antrag hierzu muss von der Staatsanwaltschaft kommen. Anklägerin Sandra von Dahl nahm den entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden Jochen Bösl am Ende des siebten Verhandlungstages zur Kenntnis und wird sich möglicherweise am kommenden Montag dazu erklären. Dann sollen auch bereits die Schlussvorträge gehalten werden - allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Weil bei einigen Zeugenvernehmungen an den vergangenen Verhandlungstagen wegen intimer Details Zuhörer außen vor bleiben mussten, sieht sich die Kammer aufgrund der Gesetzeslage auch bei den Plädoyers, in denen ja zumindest theoretisch auf solche Details Bezug genommen werden könnte, zu diesem Schritt gezwungen.

Warum steht eine Teileinstellung im Raum? Das Gericht ist inzwischen aufgrund der erstatteten Gutachten des Landeskriminalamtes (LKA) und eines Pharmakologen des Instituts für Rechtsmedizin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) offenbar zu der Einschätzung gelangt, dass die Beweislage im Fall der früheren Lebensgefährtin des Angeklagten, die er laut Anklage im Frühjahr 2015 vergiftet haben soll, etwas dünn ist.

Sollte der Landwirt wirklich wegen möglicher Mordanschläge auf seine Eltern verurteilt werden können, so erläuterte es gestern Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl als Vorsitzender der Strafkammer, dann fiele eine allenfalls noch denkbare Belangung wegen schwerer (und nicht mehr gefährlicher) Körperverletzung bei der Frau auch nicht mehr sonderlich strafschärfend ins Gewicht. Denn mehr als ein solcher (nicht zwingend mit Lebensgefahr verbundener) Angriff auf die Gesundheit bliebe bei einer Beweiswürdigung im Falle der früheren Freundin wohl kaum hängen.

Ein LKA-Gutachten hatte nach einer Haaranalyse bei der Frau nur gewisse Hinweise auf eine Toxikation mit dem Rattengift-Wirkstoff Brodifacoum erbracht, keinesfalls aber einen schlagenden Beweis (DK berichtete). Gestern nun mochte der angehörte Pharmakologe nicht ausschließen, dass auch ein der Frau seinerzeit wegen einer Unterleibserkrankung verabreichtes Medikament Einfluss auf ihre Blutgerinnung gehabt haben könnte.

Bei den Eltern des Angeklagten spricht hingegen laut LMU-Gutachter alles für eine schwere, lebensbedrohliche Vergiftung mit dem genannten Wirkstoff. Hier, so der Experte, sei lediglich unklar, ob das Gift seinerzeit (wohl im Herbst 2016) über einen längeren Zeitraum in jeweils sehr kleiner Dosierung verabreicht worden sei, oder aber vielleicht bei einer einzigen Gelegenheit. Im Prinzip, so der Gutachter, habe angesichts der hohen toxischen Wirksamkeit von Brodifacoum die Beimischung von 10 bis 100 Milligramm ("Eine Messerspitze voll") zur Nahrung ausgereicht, um eine potenziell tödliche Konzentration im Körper der beiden Opfer zu erzielen.

Wenn es zu einer Verurteilung des 53-jährigen Wettstettener Landwirts kommen sollte, dürfte es keine mildernden Umstände wegen eingeschränkter Schuldfähigkeit für ihn geben: Der psychiatrische Gutachter Béla Serly (München) hat bei seiner Untersuchung keinerlei Hinweise auf eine hirnorganische Schädigung bei dem durchaus intelligenten Mann feststellen können. Er ist laut Expertise auch nicht psychisch krank, und er leidet demnach auch nicht an einer Persönlichkeitsstörung.

Dass der Landwirtssohn nach Schilderungen früherer Freundinnen gelegentlich etwas exaltiert auftrat, was seine Kleidung und das Verhalten in der Öffentlichkeit betraf, ist laut Gutachter kein Hinweis auf eine abnorme Persönlichkeit. Ein solches Verhalten liege noch "innerhalb der Norm". Gut erkennbar war laut Psychiater Serly durch mehrere Aussagen im Verhandlungsverlauf die dominante Rolle der Mutter des Angeklagten innerhalb der Familie. Dass der Sohn 2013 sein (damals leerstehendes) Wohnhaus angezündet habe, könne als Versuch interpretiert werden, aus dieser Kontrolle durch die Eltern auszubrechen.

Der Angeklagte hat gestern eine persönliche Erklärung verlesen, in der er die Tatvorwürfe erneut bestritten hat. Das Urteil in dem von großem öffentlichen Interesse begleiteten Schwurgerichtsverfahren soll am Freitag nächster Woche, 2. März, fallen.