Ingolstadt
Schutzengel in Badelatschen

Besucher und ein Schwimmmeister haben einen Vierjährigen im Freibad vor dem Ertrinken gerettet

20.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:00 Uhr
Bademeister Oliver Reis (22) rettete einem vierjährigen Jungen gemeinsam mit einer 34-jährigen Frau, die den Buben aus dem Wasser gezogen hatte, im Ingolstädter Freibad das Leben. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Nur dem beherzten Eingreifen einiger Freibadgäste und der schnellen Reaktion eines Bademeisters ist es zu verdanken, dass ein Vierjähriger im Ingolstädter Freibad nicht ertrunken ist. Das Kind war im Erlebnisbecken untergegangen und leblos am Grund liegengeblieben.

Es war der heißeste Tag des Jahres. Über 7000 Menschen bevölkerten am Mittwoch das Ingolstädter Freibad an der Jahnstraße, stürzten sich vom Sprungturm oder rutschten jauchzend ins Wasser. Für Bademeister Oliver Reis und seine vier Kollegen, die an diesem Tag die Aufsicht im Bad hatten, war es zunächst ein stressiger, aber nicht ungewöhnlicher Sommertag. Gegen 19 Uhr änderte sich das allerdings schlagartig.

„Ich stand am Erlebnisbecken und habe Richtung Rutsche geschaut. Als ich den Kopf gedreht habe, kam mir plötzlich ein Mann entgegen, der ein lebloses Kind in den Armen trug“, erzählt Reis. Was dann passiert ist, kommt Reis selbst am nächsten Tag noch unwirklich vor. „Es war wie in einem Film“, sagt er. „Ich habe nicht nachgedacht und funktioniert wie eine Maschine. Ich habe einfach alles so gemacht, wie ich es in meiner Ausbildung gelernt habe.“ Neben dem Becken wurde der Bub auf den roten Plattenboden gelegt. Da das Kind nicht mehr atmete, fing Reis sofort mit der Reanimierung an. Mittlerweile war auch ein Kollege herbeigeeilt. Der verständigte die Rettungskräfte, die sich sofort auf den Weg ins Freibad machten.

Wie lange Reis den Buben beatmete und den Brustkorb massierte, kann er nicht sagen. „Ich war wie in einem Tunnel“, erinnert er sich. Und plötzlich regte sich das Kind, begann zu winseln und zu atmen. Reis nahm den Kleinen hoch und trug ihn Richtung Ausgang, dort kamen ihm bereits die Sanitäter entgegen. Sie nahmen ihm den Vierjährigen ab, brachten ihn in den Rettungswagen und untersuchten ihn. Erst als sie ihm signalisierten, dass das Kind stabil ist und selbstständig atmet, wurde Reis langsam klar, was gerade passiert war.

Bis spät in den Abend hinein versuchte auch die Polizei, die Geschehnisse zu rekonstruieren. Viele Augenzeugen wurden befragt, auch die Mutter des Buben, die mit ihm und seinem Bruder ins Freibad gegangen war. Wie es passieren konnte, dass das Kind ohne Schwimmflügel in einem unbeobachteten Moment in das Erlebnisbecken stürzte, konnte dennoch nicht geklärt werden. „Eine 34-Jährige hat den Bub leblos am Grund des Erlebnisbeckens entdeckt“, erklärte Wieland Radlmair, der Sprecher der Polizeiinspektion Ingolstadt, gestern. Die Frau zog den Körper sofort an die Oberfläche, wo ihn ihr der Mann abnahm, der das Kind sofort zu Reis brachte. „Gerade wenn so viel los ist, ist es wichtig, dass die Gäste auch aufeinander schauen“, sagt der Bademeister. „Es ist für uns unmöglich, alles zu sehen.“ Für die Polizei sind noch einige Fragen ungeklärt. Sie hofft darauf, das einer der vielen Besucher an diesem Tag etwas gesehen haben könnte und bittet Zeugen, sich unter der Telefonnummer (08 41) 93 43 22 22 zu melden.

Gestern stand Reis wieder am Beckenrand im Ingolstädter Freibad. Seit 2008 arbeitet er hier. Vor gut zwei Wochen hat er seinen Meisterbrief erhalten, seit einigen Tagen ist er für den Betrieb des Freibades und der Ingolstädter Schulbäder verantwortlich. Seine erste Feuerprobe hat er am Mittwoch zweifelsohne bestanden. Gestern wurde der verletzte Bub von der Intensivstation des Klinikums Ingolstadt bereits in die Kinderklinik nach Neuburg gebracht. Er ist außer Lebensgefahr und ansprechbar. Reis hat einen weiteren Grund zu feiern: Morgen wird er 23. Dank ihm kann der Vierjährige, den er gerettet hat, künftig zweimal im Jahr Geburtstag feiern.