Ingolstadt
Gezeichneter Botschafter

Fans des Ingolstädter Strichmännchens sehen in ihm einen Werbeträger für die Schanz

16.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:10 Uhr

In Augsburg sprießen gesprayte Blumen. Mittlerweile kann man das Motiv auf T-Shirts und Ansteckern kaufen. - Foto: dapd

Ingolstadt (DK) An Streetart scheiden sich die Geister. Die einen halten Graffiti für Schmierereien, andere für urbane Kunst. In Augsburg wird derzeit über eine Blume diskutiert, in Ingolstadt ist ein Strichmännchen Thema. Fans schlagen vor, die Stadt solle mit dem gezeichneten Kerlchen werben.

Wie viele Strichmännchen es in Ingolstadt gibt, weiß wohl nicht einmal der unbekannte Sprayer selbst. Michael Olma, bekennender Fan der Zeichnungen, hat in seinem Blog knapp 100 dokumentiert. „Der Hallo-wach-Ruf war ein Männchen an der Hauswand gegenüber meiner Kanzlei“, berichtet der Anwalt. „Ich hab mich jeden Morgen darüber gefreut und eines Tages war es übermalt.“ Olma schnappte sich seine Kamera und machte sich auf die Suche. Jedes Männchen, das er fand, hat er festgehalten und im Internet veröffentlicht. Dabei „rettete“ er – wie er sagt – auch bereits verblichene und teilweise übermalte Exemplare. Mit seinem Fahrrad ist er mittlerweile jede Gasse, jeden Hinterhof abgefahren. „Ich weiß langsam, wo die Stellen sind, an denen sich die Männchen verstecken“, sagt er. Immer wieder erhält er auch Hinweise auf weitere Zeichnungen, die Sammlung wächst stetig.

Nicht alle reagieren so positiv auf die Männchen. Manche Hauseigentümer und die Polizei sind auf den Graffitisprayer nicht gut zu sprechen. In Künstlerkreisen sieht man das anders. Matthias Neuburger, Schlagzeuger bei der Band Slut und Mitinitiator des Kulturwerks findet, man müsse hier die „Ästhetik vor der Sachbeschädigung sehen.“ Das Männchen sei nicht nur einfach eine Schmiererei, sondern folge einem Konzept, wie es gute Streetart eben macht. „Es ist subversiv, aber es brüskiert nicht, es amüsiert.“ Sein Bruder Chris, Sänger bei Slut, mag, dass der Sprayer die Männchen in die jeweilige Situation einbaut. „Er kommentiert den Ort. Deswegen ist er auch ingolstadtspezifisch.“

Manchen erinnert das Ingolstädter Männchen – Olma nennt es „Springinkerl“ – an die so genannte Augsburgblume. In der schwäbischen Stadt hat ein Straßenkünstler über 500 Blumen an Häuserfassaden gesprüht. Das hat weit über die Stadtgrenzen hinaus eine heftige Diskussion ausgelöst. Das Stadtmarketing hat vorgeschlagen, die Blume zum Aushängeschild Augsburgs zu machen. Auf T-Shirts, Ansteckern und Tassen sollte sie Werbung für Augsburg machen. Mittlerweile rudert die Stadt allerdings zurück und distanzierte sich Ende Juli in einer offiziellen Mitteilung von den „Verunreinigungen“. Außerdem wurde ein 24-Jähriger gefasst, dem vorgeworfen wird, der Blumenmaler zu sein. T-Shirts und Anstecker verkaufen Blumenfreunde jetzt in Eigenregie. Es gibt mehrere Facebookseiten von Fans der Augsburgblume mit teilweise weit über 2000 Anhängern. Einige wollen Geld sammeln, um den Blumenmaler zu unterstützen.

In Ingolstadt kopieren einige Fans mittlerweile die Männchen. „Ich kenne einige, die man sicher nicht dem echten Sprayer zuordnen kann“, sagt Olma. Dem Beispiel Augsburgs folgend, denken einige Freunde des Schanzer Strichmännchens jetzt darüber nach, ob es nicht doch ein Werbeträger für die Schanz sein könnte. „Ich würde mir wahrscheinlich ein solches T-Shirt kaufen“, sagt Matthias Neuburger.

Bernd Wölfl, der Geschäftsführer des Marketingvereins IN-City, ist skeptisch. Irgendwo findet auch er die Strichmännchen sympathisch, aber „die Verschmutzung historischer Gebäude ist schwierig. Ich bin deswegen eher zurückhaltend.“ Martina Benkel, die Geschäftsführerin der Ingolstädter Tourismus GmbH, stößt ins gleiche Horn. Sie hat bittere Klagen von Hausbesitzern gehört, die größte Mühe gehabt hätten, ein Strichmännchen von ihrer Fassade zu entfernen. Selbst Olma sagt, dass er „etwas Bauchschmerzen“ habe, wenn er Männchen an sensiblen Stellen entdeckt.

Dennoch hat die facettenreiche Figur unbestritten einige Berühmtheit erlangt. Auch in Augsburg und Berlin ist man auf das Strichmännchen aufmerksam geworden, was die Diskussionsbeiträge in Olmas Blog und auf anderen Internetseiten belegen. Das Kerlchen ist in manchen Kreisen also schon zum Botschafter der Stadt geworden – ob man das nun will, oder nicht.