Ingolstadt
Womöglich doch schuldfähig

Gericht muss im Unterbringungsprozess gegen eine rabiate Bulgarin Überleitung in ein Strafverfahren prüfen

01.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:53 Uhr

Ingolstadt (DK) Im nun schon länger währenden Unterbringungsverfahren gegen eine 32-jährige Bulgarin, die einen pflegebedürftigen Rentner aus dem Nordostviertel übel traktiert haben soll (DK berichtete), hat die 1. Strafkammer des Landgerichts jetzt endlich den psychiatrischen Gutachter anhören können.

Die Einvernahme des Experten soll zwar bei einem weiteren Termin in der kommenden Woche noch fortgesetzt werden, doch konnten sich die Richter zumindest in Grundzügen über die ärztliche Einschätzung des sonderbaren Falles, der als versuchter Totschlag verhandelt wird ist, informieren.

Demnach ist die Frau, die in ihrer Heimat als Straßenkind aufgewachsen sein soll und sich zuletzt als Haushaltshelferin nacheinander bei zwei älteren türkischen Männern in Ingolstadt verdingt hatte, bei ihrer Attacke auf das 82-jährige Opfer offenbar nicht völlig von Sinnen gewesen. Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Anklage noch von einer völligen Schuldunfähigkeit aufgrund einer gröberen psychischen Störung ausgegangen. Der Gutachter erkennt indes bei der Angeklagten eine besondere Form der Schizophrenie, bei der sich irrationale Phasen mit durchaus normal wirkendem Verhalten abwechseln oder gar mischen können.

Die Frau habe sich aufgrund ihrer gelegentlichen Verwirrtheit und ihrer Erfahrungen mit ihrem Pflegefall womöglich sogar im Recht gesehen, als sie dem schwer gehbehinderten Senior (mit seiner Krücke oder mit einer Metallstange) auf den Kopf schlug, so der Gutachter. Der Mann habe wohl nicht essen wollen, da habe sie sich zu einer Sanktion herausgefordert gefühlt. In der Gutachtersprache: "Sie hatte keine rationale Reserve, um ihr Verhalten an Rechtsnormen zu orientieren."

In ihren Einlassungen bei der Polizei und auch zu Prozessbeginn habe die Angeklagte "allerlei sehr schräg anmutende Gedanken" geäußert, meinte der Experte weiter. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass der Patientin eingeschränkte intellektuelle Fähigkeiten aufgrund einer leichten geistigen Behinderung zu attestieren sind. In seinem vorläufigen Fazit sprach er, was die psychische Konstitution der Frau zum Tatzeitpunkt angeht, von einer wahrscheinlichen verminderten Einsichtsfähigkeit und affektiven Verhaltensstörungen. Eine völlige Steuerungs- und damit Schuldunfähigkeit erkennt er aber nicht.

Die Strafkammer, die der Anklage nach über eine längerfristige Unterbringung der 32-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus zu befinden hätte, muss nun auch die Möglichkeit der Überleitung des Prozesses in ein normales Strafverfahren prüfen. Vorsitzender Jochen Bösl gab deshalb vorsorglich einen entsprechenden rechtlichen Hinweis.

Dem Gutachter fehlt immer noch der Abschlussbericht zu einer eingehenden Untersuchung der Bulgarin auf eine mögliche Neurolues, also auf eine das Gehirn oder das zentrale Nervensystem schädigende Verlaufsform der Syphilis. Darauf will er offenbar noch beim nächsten Verhandlungstermin eingehen, der auf den 12. Mai festgesetzt worden ist.