Ingolstadt
"Wir haben noch nie so viel für Kultur ausgegeben"

22.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:10 Uhr
OB Christian Lösel (rechts) will die Kulturpolitik der Stadt umkrempeln: In Zukunft soll eine GmbH Veranstaltungen managen. Damit stößt er auf viel Kritik, auch beim SPD-Stadtrat Manfred Schuhmann. −Foto: Hauser

Ingolstadt (dk) Oberbürgermeister Christian Lösel und Mannfred Schuhmann im Gespräch über das Ingolstädter Kulturangebot, die geplante Veranstaltungs-GmbH und die Zukunft des Gießereigeländes.

Herr Lösel, in der Kulturszene der Stadt gibt es Unmut über die Stadtregierung. Man wirft ihr mangelndes Engagement vor, zu wenig Sensibilität und Interesse. Eine Stadträtin konstatiert sogar eine "kulturferne" Stadtspitze, etwa in dem Sinne, wie man von bildungsfernen Schichten spricht. Ist da etwas dran?

Christian Lösel: Die Stadt Ingolstadt gibt so viel für Kultur aus wie nie zuvor. Nur ein Beispiel sind die Kulturfördermittel für freie Träger, die haben inzwischen den Höchstwert von 330 000 Euro erreicht, das Georgische Kammerorchester (GKO) bekommt eine halbe Million im Jahr. Wir investieren vor: 140 Millionen in die kulturelle Infrastruktur. Außerdem habe ich immer wieder gesagt, dass wir die kulturelle Vielfalt weiterhin brauchen und auch unterstützen werden.

 

Herr Schuhmann, wie wichtig ist das Kulturangebot für die Attraktivität einer Stadt?

Manfred Schuhmann: In Ingolstadt haben wir ja zwei Leuchttürme, den ERC und den FCI. In der Kultur sind wir auch nicht schlecht aufgestellt. Wobei es schon interessant ist, dass der OB sagt, dass wir einen Höchstwert der Ausgaben erreicht haben. Das ist ja eigentlich nicht überraschend bei einer Stadt, die wächst. Da muss man nicht nur den Christkindlmarkt erweitern. Aber wir stechen da nicht heraus. Würzburg etwa gibt doppelt so viel für die Kultur in freier Trägerschaft aus. Es gibt keinen Grund zur Klage, aber auch keinen zu sagen: Wir sind die Besten.

 

Ihr Vorgänger im Amt, Herr Lösel, hat gerne vom Bürgerkonzern gesprochen. Jetzt scheint es so, als sollten zahlreiche Kulturaktivitäten der Stadt in Zukunft von einer GmbH übernommen werden, geleitet von einem Geschäftsführer, der von Kultur eher wenig Ahnung hat.

Lösel: Moment. Welche Qualifikationen hatten denn die bisherigen Orchester-Geschäftsführer? Das waren sehr engagierte Mitarbeiter mit Verwaltungsausbildung.

 

Nun ja, im Kulturamt sitzen zahlreiche Leute, die über Kulturkompetenz verfügen.

Lösel: In einer Presseerklärung haben wir kürzlich noch einmal klargestellt, dass für die inhaltliche Kulturpolitik weiterhin das Kulturreferat und der Stadtrat zuständig sind.

 

Wofür benötigen wir dann eine Veranstaltungs-GmbH?

Lösel: Erstens wird die Effizienz durch eine Veranstaltungs-GmbH gesteigert. Zweitens haben wir eine günstigere Umsatzsteuerregelung. Drittens wird das Arbeiten für die Kreativen erleichtert, die sich auf das Kulturelle konzentrieren können und denen das Kaufmännische und Organisatorische abgenommen wird.

 

Aber rechtfertigt das, gleich drei neue Stellen für die GmbH zu schaffen: einen Geschäftsführer und zwei Bereichsleiter oder Kulturmanager?

Lösel: Ich schaffe einen neuen Geschäftsführer. Gleichzeitig werden Stellen vom Kulturamt überstellt. Es geht hier um Überleitungsmöglichkeiten, Positionen im Kulturreferat werden von der neuen GmbH übernommen. Den Geschäftsführer des GKO gab es bereits vorher. Diese Position wird einfach nachbesetzt. Die Stelle des Intendanten ist im Organigramm bereits seit Längerem ausgewiesen. Über diese Position gibt es kaum Streit. Für mich ist die Sache einfach: Es gibt vom Stadtrat einen genehmigten Zuschuss von 500 000 Euro pro Jahr. Dieser Defizitrahmen wird nicht überschritten werden. Der Zuschuss ist übrigens beträchtlich gewachsen, was weder Herr Schuhmann noch Herr Gazarian richtig mitbekommen hatten: von 300 000 Euro im Jahr 2013 auf 425 000 Euro im Jahr 2014, einmalig auf 520 000 Euro im Jahr 2015 und ab 2016 auf nun 500 000 jährlich. Ich halte das nicht für ein Zeichen einer zurückgehenden Kultur. Der Stadtrat hat diesen Defizitrahmen genehmigt, und er wird sicherlich in Zukunft darauf achten, dass er nicht weiter ansteigt.

 

Dennoch wurden zwei Stellen geschaffen, die es vorher so nicht gab: den Geschäftsführer der Veranstaltungs-GmbH . . .

Lösel: . . . das entspricht dem Amtsleiter im Kulturamt.

 

Den gibt es aber noch im Kulturamt.

Lösel: Bei 2400 Positionen in der Stadt habe ich immer mal wieder Übergänge. Ich schaffe keine zusätzlichen Stellen, sondern ich gestalte eine parallele Schiene, die unter anderem mit Personen besetzt wird, die hin-übergehen wollen.

 

Eine weitere Stelle, die Sie schaffen wollen, ist die des Bereichsleiters für Kulturveranstaltungen in der GmbH.

Lösel: Das ist keine neue Stelle.

 

Wieso?

Lösel: Die Stelle wird jetzt ausgeschrieben, warten wir ab, wer aus der Stadtverwaltung sich dafür bewirbt.

 

Das heißt, die Stelle wird mit einem Mitarbeiter der Stadt besetzt und nicht extern?

Lösel: Eigene Leute haben generell den Vorzug.

 

Herr Schuhmann, das GKO ist immer noch ein unterfinanziertes Orchester. Beim Württembergischen Kammerorchester ist der Etat etwa dreimal so hoch, andere Orchester sind noch besser ausgestattet. Warum ist es Ihnen in den vergangenen Jahren nicht gelungen, das Orchester besser zu versorgen?

Schuhmann: Die schlechte finanzielle Unterstützung ist unbestritten. Die Orchesterleitung war von Anfang an eine Fehlkonstruktion. Es war ungünstig, einem Verwaltungsbeamten die Funktion eines GmbH-Geschäftsführers zu überlassen. Positiv ist aber, dass wir jetzt einen Orchester-Intendanten bekommen werden, auch wenn das fast niemand am Anfang so wahrgenommen hat.

 

Das hat fast niemand vorher so verstanden. Auch Ruben Gazarian nicht, der sich sehr darüber aufgeregt hat, dass die Stelle mit dem bisherigen Irma-Geschäftsführer Tobias Klein besetzt werden soll.

Lösel: Das stimmt. Aber bereits am nächsten Tag hat er sich bei mir telefonisch dafür entschuldigt. Er hatte das total falsch verstanden.

 

Was für eine finanzielle Perspektive sehen Sie für die Zukunft? Auch wenn Sie berücksichtigen, dass die Gehälter der Musiker seit vielen Jahren nicht mehr angehoben wurden?

Lösel: Sind Ihnen die Anzahl der Auftritte des GKO bekannt im Vergleich zu anderen Orchestern?

 

Ja, andere Orchester spielen erheblich mehr.

Lösel: Und zwar um den Faktor zwei oder drei mehr.

 

Die Konzerte bringen aber nicht unbedingt Geld.

Lösel: Ja, Konzerte im Ausland müssen oft sogar bezuschusst werden.

Schuhmann: Da geht es um das Prestige, um die Werbung. Wir geben für die Tourismus-GmbH einen Zuschuss von 1,2 Millionen Euro. So muss man das auch beim GKO sehen.

Lösel: In Ingolstadt gab es 25 Auftritte des GKO 2015. Für 2016 sind bisher 17 geplant. Bei den Auswärtskonzerten hatten wir 2015 genau 11 Konzerte. Wir haben also grob überschlagen alle zwei Wochen ein Konzert. Und dafür hat das Orchester ein Budget von 1,3 Millionen Euro.

 

Herr Lösel, Sie haben noch nicht die Frage beantwortet, ob sich die Finanzierung des Orchesters irgendwann in einem ähnlichen Rahmen bewegen wird wie bei vergleichbaren Orchestern.

Lösel: Die gesamten Personalkosten sind gesunken, da auch Orchestermitglieder uns in den letzten Jahren verlassen haben. Das GKO muss mehr Auftritte generieren. Und die müssen mehr Einnahmen bringen. Dann kann man auch mehr Geld ausgeben.

 

Wir werden also voraussichtlich einen Geschäftsführer Tobias Klein bekommen, mit dem der Dirigent, der ja mit ihm zusammenarbeiten soll, noch nie ein Wort gewechselt hat.

Schuhmann: Ich war ja der Meinung, dass der Chefdirigent beratend die Auswahl des Geschäftsführers hätte begleiten sollen.

Lösel: Der GmbH-Geschäftsführer muss Jahresabschlüsse machen, Personaleinstellungen, Buchungen, Abrechnungen vornehmen. Der Orchester-Intendant hingegen soll das Orchester so leiten, dass Herr Gazarian möglichst gut arbeiten kann. Diese Person wird zusammen mit Herrn Gazarian ausgewählt.

 

Kultur wird also demnächst anders organisiert in Ingolstadt. Aber woran wird sich der Erfolg bemessen?

Lösel: Es gibt vom Stadtrat einen Budget-Rahmen, und es geht nun darum, aus diesen Geldmitteln das für die Bürger der Stadt Bestmögliche herauszuholen. Es geht dabei um Qualität, Differenziertheit, Vielfalt des Angebots. Je mehr dort stattfindet, desto besser.

 

Herr Schuhmann, wenn Sie das neu erschlossene Areal des Gießereigeländes ansehen: Was für eine Vision für die Zukunft haben Sie dann?

Schuhmann: Das Gelände war von Anfang an vorgesehen für: Wissenschaft, Kongresszentrum und Bevölkerung. Dafür gibt es einstimmige Stadtratsbeschlüsse. Wenn jetzt ein digitales Gründerzentrum dort errichtet werden soll, dann ist das lange diskutierte und vorbereitete Donaumuseum mit einem Federstrich beseitigt. Da ist der Ärger sehr groß. Um das Museum herum war ja auch noch eine Freiraumgestaltung geplant. Nun lädt das Areal kaum noch zum Verweilen ein.

Lösel: Die Position des Rathauses war immer ein Sowohl-als-auch: Wir wollen das Donaumuseum nicht aufgeben. Auf der anderen Seite dürfen wir uns neuen Chancen nicht verschließen, wenn sie so kurzfristig durch das bayerische Wirtschaftsministerium ermöglicht werden. Bis zum 13. Mai muss im Ministerium unsere Bewerbung vorliegen.

 

Gibt es genügend Platz für beide Projekte?

Lösel: Im Südosten des Areals gibt es genug Platz, allerdings wäre ein Anbau notwendig. Dieser Anbau könnte statisch so gestaltet sein, dass man das Donaumuseum später draufsatteln könnte.

Schuhmann: Es geht darum, die Sanierung des Kavalier Dallwigk aus der Sicht der Stadt mit möglichst vielen Fördergeldern zu finanzieren.

Lösel: Das ist doch legitim. Also: Ich habe eine Chance, das digitale Gründerzentrum nach Ingolstadt zu bringen. Das war eine Bitte der Hochschule. Das nicht zu machen wäre fahrlässig.

 

Warum kann das Gründerzentrum nicht woanders untergebracht werden, etwa im Körnermagazin?

Lösel: Weil es uns nicht gehört. Ich sehe keinen anderen Standort im Umfeld. Ich habe eine ganz klare Position: Ich will für die Ingolstädter Bevölkerung mit möglichst hohen staatlichen Fördermitteln historische Bausubstanz erhalten und sanieren.

 

Wenn wir zehn Jahre in die Zukunft blicken: Wie wird das Kulturangebot dann aussehen?

Schuhmann: Es hat im Stadtrat immer eine Kulturfraktion gegeben. Insofern bin ich optimistisch, dass mit einem ehrgeizigen Oberbürgermeister auch die Kultur Spitzenpositionen einnehmen wird.

 

Wird die Kultur dann so dastehen wie der Sport jetzt, auf Bundesliga-Niveau?

Lösel: Das Angebot wird deutlich größer und vielfältiger sein.
 
 


 
Manfred Schuhmann (SPD) kam 1942 in Ingolstadt zur Welt. Nach Studium der Geschichte und der Promotion unterrichtete er am Apian-Gymnasium. 1972 wurde er Stadtrat. Seit 1986 saß er mehrfach als Abgeordneter im Bayerischen Landtag, wo er für kulturpolitische Fragen zuständig war. Seit 2013 ist Schuhmann Vorsitzender des Freundeskreises des Georgischen Kammerorchesters (GKO).

Christian Lösel (CSU) kam 1974 in Ingolstadt zur Welt und ist seit 2014 Ingolstädter Oberbürgermeister. Nach dem Abitur studierte er bis 2000 BWL an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. 2004 promovierte er. 2005 bestand er das Examen zum Steuerberater und gründete zusammen mit Barbara Schabmüller eine Steuerberatungssozietät. Seit 2008 übernahm er verschiedene Ämter.