Ingolstadt
"Wir bleiben, solange man uns braucht"

In Notsituationen leistet der Kriseninterventionsdienst wertvolle Hilfe – er braucht dringend Nachwuchs

30.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:21 Uhr

Auch bei der Geiselnahme im Ingolstädter Rathaus im August 2013 war der Kriseninterventionsdienst des BRK im Einsatz. Ein Stalker hatte mehrere Rathausmitarbeiter in seiner Gewalt – darunter auch den dritten Bürgermeister Sepp Mißlbeck. Ein SEK-Kommando hat die Geiselnahme nach fast neun Stunden beendet. Arch - foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Wenn sie gerufen werden, dann ist es ernst. Erst vor wenigen Tagen hatte der Kriseninterventionsdienst des BRK wieder einen schweren Einsatz. In einer Neubausiedlung in Unterhaunstadt wurde ein zweieinhalbjähriges Kind von einem Auto überrollt. Es konnte nicht mehr gerettet werden.

Es ist eine Ausnahmssituation, in der sowohl die Angehörigen als auch die Nachbarin, die zwei spielende Kinder übersehen und angefahren hatte, Beistand benötigen. Der tödliche Unfall ist einer von knapp 200 Einsätzen, den das derzeit aus 15 Ehrenamtlichen bestehende Team des Ingolstädter Kriseninterventionsdienstes im Jahr zu bewältigen hat. Bei Unfalltod, plötzlichem Kindstod, Suizid, einer erfolglosen Reanimation, und natürlich bei sogenannten „Großschadenslagen“ wie der Geiselnahme im Ingolstädter Rathaus im August 2013 oder einer Explosion im Chemiewerk in Münchsmünster 2005, bei der bei Löscharbeiten ein Feuerwehrmann ums Leben gekommen ist, sind die Damen und Herren des Kriseninterventionsdienstes (KID) gefragt.

„Tote Kinder belasten uns alle am meisten“, sagen Diana Gehrig-Rummel, Elisabeth Kick und Heidi Springer, drei von 15 Aktiven, die sich den Bereitschaftsdienst rund um die Uhr teilen. Hier sei wichtig, untereinander schnell über den Einsatz zu sprechen. Eine Supervision alle sechs Wochen ist angesichts des belastenden Dienstes Pflicht. Auch Helfer brauchen Hilfe. Denn auch sie müssen das, was sie im Dienst erleben, erst mal verarbeiten.

Vor 19 Jahren wurde der Kriseninterventionsdienst des BRK in Ingolstadt ins Leben gerufen. Von Rosemarie Braunhardt, die ihr Leben ganz dem Dienst des Roten Kreuzes und der Krisenintervention gewidmet hat. Gesundheitliche Gründe zwangen sie kürzlich zum Rücktritt. „Eigentlich wollte ich schon vor zwei Jahren aufhören“, sagt sie dem DONAUKURIER auf Anfrage. Sie leide seit zehn Jahren an einer seltenen Art von Rheuma, das sich in letzter Zeit „massiv verschlechtert“ habe. Die Belastung, zu Einsätzen auszurücken, vor allem nachts, wurde zu groß. Die Fachdienstleitung auf Bezirksebene hat Braunhardt bereits vor fünf Jahren abgegeben. „Jetzt sollen die Jüngeren ran.“ Auch ihr Stellvertreter Peter Stumm hat das Kriseninterventionsteam verlassen. Die kommissarische Leitung hat nunmehr Viktor Gehrig inne.

„Wir brauchen dringend Nachwuchs“, sagt seine Frau, Diana Gehrig-Rummel. Im Hauptberuf ist die 44-Jährige Sonderschullehrerin. Doch ihr Engagement beim KID fordert sie mindestens genauso. „Wir fahren immer zu zweit“, erzählt sie. Denn oft müssen mehrere Menschen betreut werden. Wenn die Polizei eine Todesnachricht überbringt, ist der Kriseninterventionsdienst dabei. „Wir wissen, sobald wir klingeln, bricht für jemanden die Welt zusammen.“ Das sehe man an den Gesichtern, noch bevor die Nachricht überbracht ist. „Unser Ziel ist es, die Leute aufzufangen, sie zu stabilisieren.“ Wie lange das dauert, ist völlig unterschiedlich. „Wir bleiben, solange man uns braucht.“ Das können bei einem Einsatz drei Stunden sein, bei einem anderen acht. Oft ginge es auch um organisatorische Dinge.

Abschiednahme – ein zentrales Thema bei der Krisenintervention. Es sei wichtig, dass die Menschen den Tod ihrer Angehörigen begreifen. Auch Kinder sollten in diesen Prozess mit einbezogen werden. „Krisenintervention kann man nicht lernen. Dafür gibt es keine Checkliste. Man braucht dafür Herz und Hirn.“ Bei ihren Einsätzen stoßen die Helfer oft an ihre Grenzen. Was treibt sie dennoch an, diesen schweren ehrenamtlichen Dienst auszuüben? „Es ist die Dankbarkeit“, sagt Elisabeth Kick. „Wenn jemand sagt, ,Sie sind die schlimmsten Stunden in meinem Leben bei mir gewesen’“, sei das der schönste Lohn, meint Gehrig-Rummel. Heidi Springer fügt hinzu: „Ein Danke aus tiefstem Innern, das ist unglaublich bewegend.“