Ingolstadt
Wenn Würde an Geld geknüpft ist

Neunter bayerischer Geriatrietag dreht sich um die Situation schwer kranker Senioren

19.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:58 Uhr

Sie diskutierten gestern im Ingolstädter Klinikum über Geriatrie und Palliative Care (von links): die Professoren Maria Wasner, Christoph Ostgathe, Cornel Sieber und die bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Immer mehr Menschen sind im Alter auf Betreuung angewiesen, und immer mehr sterben nicht im eigenen Zuhause. Beim bayerischen Geriatrietag, dessen neunte Auflage im Ingolstädter Klinikum stattfand, diskutierten gestern Experten mit Gesundheitsministerin Melanie Huml über die Konsequenzen.

„Selbstbestimmt (leben) bis zuletzt“ lautete der Titel der Veranstaltung, die sich gleichermaßen Palliative Care, also der Versorgung unheilbar Schwerkranker oder Sterbender, und der Geriatrie, der Altenheilkunde, widmete. Während es bei Palliative Care darum geht, die Schmerzen der Patienten zu lindern, zielt die Geriatrie auf die Behandlung der meist alterstypischen Krankheiten ab. Zuerst sei sie wegen der Koppelung skeptisch gewesen, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml. „Aber man merkt, dass wir das richtige Thema getroffen haben“, erklärte sie und wies in Richtung Publikum, in dem über 100 Vertreter aus Pflege und Medizin saßen.

„Es ist heute keiner mehr freiwillig in einem Pflegeheim“, sagte Hans Steil vom Münchener Christophorus-Hospiz-Verein, der einen von mehreren Experten-Vorträgen hielt. Vom Träger eines Pflegeheims in München habe er erfahren, dass von 260 Bewohnern 105 Menschen in den ersten drei Quartalen des Jahres gestorben sind, erklärte Steil. „Mehr als die Hälfte der Bewohner stirbt hochgerechnet innerhalb eines Jahres.“ Vor einigen Jahren sei es noch etwa ein Drittel gewesen. Steil führt das auch auf den erhöhten Entlassungsdruck der Krankenhäuser zurück, die – von Kosten getrieben – die Patienten womöglich inzwischen schneller an andere Einrichtungen verwiesen, zum Beispiel an die 16 stationären Hospize in Bayern, von wo aus es häufig ins Pflegeheim als letzte Lebensstation geht. Menschliche Würde ist im Pflegesektor auch immer ein Stück weit an die Finanzierbarkeit geknüpft. Dazu kommen Fragen wie: Wann ist wirklich eine Sonde zur künstlichen Ernährung nötig? Wie lange lässt man den Patienten an den Maschinen? Was sagt man Sterbenden? Wie fragt man Demente, wie sie ihr Lebensende bestreiten wollen?

Die Experten forderten mehr Geld für die Pflege, mehr Fachpersonal, mehr Zeit zur Betreuung auch der Angehörigen und eine bessere Ausbildung. „Wir bekommen Studenten im neunten Semester auf die Palliativstation“, erzählte Christoph Ostgathe, Professor am Klinikum der Erlangener Universität. „Und ich bin immer wieder erschrocken, wie wenig die darüber wissen.“ Maria Wasner, Professorin an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, sagte, es sei in einzelnen Heimen in Sachen Palliative Care schon viel passiert – „aber das ist eher die Ausnahme. Bisher gibt es eine erste und eine zweite Klasse des Sterbens.“ Für Cornelius Sieber, Professor im Regensburger Krankenhaus Barmherzige Brüder, müsse sich auch die Situation in den Krankenhäusern verbessern: „Jede Spezialmedizin braucht ein Nest“, sagte er.

Eine Gruppe von Bund und Ländern hat vor einigen Tagen ein Arbeitspapier zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung erstellt, mit einigen von der Praxis geforderten Punkten. Mit hineingekommen sei auch die Forderung, dass ein Patient nicht einfach weitergereicht werden dürfe, sagte Ministerin Huml. „Natürlich muss ein Krankenhaus wirtschaftlich arbeiten.“ Aber man müsse die Krankenhäuser auch finanziell so ausstatten, dass die Qualität gewährleistet bleibe. Zentral sei: „Was möchte der Patient“, sagte sie. Dazu sollten sich die Menschen auch rechtzeitig Gedanken machen und das in einer Patientenverfügung festhalten, etwa wenn er keine lebensverlängernden Maßnahmen wünsche. Alles, was mit organisierter Sterbehilfe zu tun habe, sei dagegen abzulehnen. Sie persönlich halte auch nichts von ärztlich begleitetem Suizid, erklärte Huml.