Ingolstadt
Schulbesuch mit späterer Nobelpreisträgerin

09.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:25 Uhr

Nobelpreisträgerin Herta Müller war eine Schulkameradin von Matthias Bäummel. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Seitdem bekannt ist, dass Herta Müller heute den Nobelpreis für Literatur erhält, ist sie auch einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff. Der Ingolstädter Matthias Bäummel kennt die Fleißer-Preisträgerin schon seit der Jugendzeit im rumänischen Banat: Er war ein Schulkamerad der Schriftstellerin.

Im Rückblick auf die 60er und 70er Jahre fällt das Urteil von Matthias Bäummel über die berühmteste Einwohnerin ihres gemeinsamen Heimatortes Nitzkydorf in Rumänien fast ein wenig überraschend aus. "Ich habe sie als ganz normale Schülerin empfunden", sagt er über Herta Müller. Geboren im Jahr 1951, ist Bäummel zwei Jahre älter als die Nobelpreisträgerin. Die beiden waren zwar nicht in derselben Klasse, aber im selben Kindergarten und einige Jahre in derselben Schule. "Ich habe sie auch als recht freundlichen Menschen in Erinnerung", sagt Bäummel.

In einem dicken Buch über seinen Heimatort blätternd, kann er noch heute ganz genau sagen, wo das Haus der Müllers stand: "Das war ein L-förmiges Gebäude an der breiten Dorfstraße." Auch Herta Müllers 1978 verstorbenen Vater hat er gekannt. "Zum Schulabschluss haben wir eine Fahrt nach Herculesbad gemacht, hinten auf dem offenen Lkw, ohne Plane. Und der Fahrer war Josef Müller."

Nach der gemeinsamen Schulzeit trennen sich die Wege der beiden. Während Müller aufs Gymnasium geht und anschließend studiert, macht Bäummel ab 1966 eine Lehre als Maßschneider in einem anderen Ort, wofür er jeden Tag um 4 Uhr aufstehen muss. "Man hat sich aber gelegentlich noch am Bahnhof gesehen", erzählt er.

Banater Schwaben

Bäummels Erinnerungen sind aber dennoch aufschlussreich, um einen Zugang zu Werk und Person der Preisträgerin zu erlangen. Das 1785 gegründete Nitzkydorf hatte bis zum Beginn der Aussiedlungen nach Deutschland Anfang der 60er Jahre über 2500 Einwohner, ganz überwiegend Banater Schwaben. "Da hat jeder jeden gekannt und gegrüßt", sagt Bäummel.

Überwiegend landwirtschaftlich geprägt, ist damals das Leben in dem südöstlich von Temesvar gelegenen Ort aus heutiger Sicht schon recht bescheiden. "Was man bei uns so gelesen hat? Den Quelle-Katalog, den Verwandte aus Deutschland heimlich nach Rumänien geschmuggelt haben", sagt Bäummel und lacht. Denn die Literatur, die es gab, entsprach natürlich den Vorgaben des damaligen Ostblockregimes. "Um Viertel vor Zehn wurde drei mal der Strom kurz abgedreht und wieder angemacht", weiß Bäummel noch heute. "Dann hatten die Leute noch Zeit, sich Petroleumlampen zu holen. Denn um 22 Uhr wurde der Strom endgültig ausgeschaltet."

Im Jahr 1984 ist Matthias Bäummel nach Deutschland ausgesiedelt, drei Jahre vor Herta Müller. An die 20 Jahre lang hat der gelernte Schneider dann in der Kostümabteilung des Theaters Ingolstadt gearbeitet. Im Jahr 1989 hat Bäummel seine Schulkameradin dann wieder gesehen: "Ich war bei ihrer ersten Lesung in Ingolstadt dabei, als sie den Fleißer-Preis der Stadt bekommen hat." Er hatte sich zunächst noch überlegt, sie anzusprechen, lässt es aber dann. "Was hätte ich denn schon sagen sollen", fragt er offen und ehrlich.

Als er dann 20 Jahre später Anfang Oktober erfährt, dass die mit Auszeichnungen überhäufte Herta Müller auch den Literaturnobelpreis erhält, ist Bäummel nach eigenem Bekunden "angenehm überrascht". Seitdem hat er einiges über die Schriftstellerin gelesen, auch den umstrittenen Artikel "Die Securitate ist noch im Dienst" in der Wochenzeitung "Die Zeit", wo Müller beschreibt, welchem Terror sie im Rumänien des Diktators Ceausescu ausgesetzt war. "Der Artikel stimmt", sagt er.

"Gute Beobachtungsgabe"

Auch Werke aus der Feder seiner berühmten Schulkameradin sind in seinem Besitz, wie etwa "Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt". Bäummel lobt die "gute Beobachtungsgabe" der Nobelpreisträgerin, die "mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit" gezeichnet habe, wie es in der Begründung des schwedischen Nobelpreiskomitees heißt.

Matthias Bäummel hat in Ingolstadt eine neue Heimat gefunden. Vor fünf Jahren hat er Nitzkydorf in Rumänien noch einmal besucht. "Da leben vielleicht noch sechs oder sieben Banater Schwaben", berichtet er. Die Welt, der Herta Müller und er entstammen, gibt es nicht mehr.