Ingolstadt
Ein Anwalt beißt sich fest

Gericht vernimmt im Mordfall Anastasia einen schillernden Zeugen

02.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Ingolstadt (DK) Im Mordprozess vor dem Landgericht ist es am Freitag erstmals richtig laut zugegangen: Vorsitzender Jochen Bösl musste Verteidiger Franz Wittl (München) mit erhobener Stimme klarmachen, dass er die Verhandlungsführung hat und deshalb auch über die Zulässigkeit von Fragen entscheidet.

Der Rechtsanwalt hatte zuvor nachdrücklich versucht, an der Glaubwürdigkeit eines wichtigen Zeugen zu rütteln. Er hatte den Mann, der am Abend vor Anastasias Ermordung noch mit der jungen Frau zusammen gewesen ist und sie wohl als einer der Letzten lebend gesehen hat, in die Enge zu treiben versucht. Die Kammer schloss während der weiteren Befragung mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Zeugen dann sogar vorübergehend die Öffentlichkeit aus.

Wie schon vor Wochen berichtet, war das 22-jährige spätere Mordopfer an seinem letzten Abend im Wohnheim an der Feldkirchener Straße mit einer Mitbewohnerin zusammen gewesen; man hatte nach deren Aussagen zusammen gekocht und gegessen. Mit dabei: ein inzwischen 54-jähriger Mann, der die beiden Frauen offenbar im Zuge von Handwerkerarbeiten in der städtischen Notunterkunft kennengelernt hatte. Dieser Gast hat eine schillernde Vergangenheit: Seinerzeit war er als bereits mehrfach vorbestrafter Betrüger in Haft, jedoch immer wieder mal Freigänger gewesen. Mit der bewussten Nachbarin hatte er wohl sogar ein enges Verhältnis gehabt, dies jedoch in polizeilichen Vernehmungen nach Anastasias Tod zunächst verschwiegen.

Nach Aussage der damaligen Freundin vor einigen Wochen vor Gericht soll der Mann sogar einen Schlüssel zu deren Zimmer besessen und in der Mordnacht bei ihr übernachtet haben, ohne dass sie genau sagen konnte, ob er wirklich die gesamte Nacht im Zimmer war. Er sei jedenfalls am anderen Morgen da gewesen, so die Einlassung.

Bei den beiden Verteidigern des wegen Mordes angeklagten 25-jährigen Soldaten besteht natürlich ein starkes Interesse, allen Spuren besonders intensiv nachzugehen, die ihren Mandanten nicht als alleinigen Tatverdächtigen erscheinen lassen. Insofern hat sich Anwalt Wittl mit den Aussagen des inzwischen aus der Haft entlassenen Zeugen, der sich dem Gericht als "Journalist und Kameramann" mit Wohnsitz München vorstellte, besonders intensiv befasst. Der Mann bezeichnete etliche Aussagen seiner damaligen Freundin als falsch; er habe auch nie einen Schlüssel zu deren Wohnung besessen.

Als der Anwalt dann recht bissig versuchte, die offenbar zahlreichen früheren Betrügereien des Zeugen näher zu beleuchten, musste das Gericht einschreiten: Der Mann sei eben als Zeuge und nicht als Angeklagter erschienen, rief Vorsitzender Bösl in Erinnerung. Er hatte eingangs der Befragung bewusst darauf verzichtet, das der Kammer vorliegende Vorstrafenregister des 54-Jährigen näher zu erläutern.

Als der Verteidiger noch näher auf angebliche Titelschwindeleien des Zeugen eingehen wollte, zog dieser einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Ärmel: Er habe ein Recht auf Resozialisierung, so sein Hauptargument, und das bedeute auch, dass er sich nicht weiterhin vor Publikum für bereits gesühnte Delikte rechtfertigen müsse. Die Kammer konnte sich dem nicht verwehren und schloss Zuschauer und Presse für einige Minuten aus.

Dass die gesamte Befragung wesentlich zur Aufklärung von Anastasias gewaltsamem Tod beigetragen hätte, kann sicher nicht behauptet werden. Allerdings ist einmal mehr deutlich geworden, dass es im Umfeld der jungen Frau immer wieder und bis zuletzt auch Figuren gegeben hat, die polizei- bzw. sogar gerichtsbekannt sind.

Ein weiterer interessanter Zeuge wird für den nächsten Verhandlungstag am Donnerstag, 22. Dezember, erwartet. Dann soll nochmals jener junge Mann gehört werden, der im Prozess einem Freund - dem tatsächlichen Vater von Anastasias ungeborenem Kind - ein fragwürdiges, womöglich sogar falsches Alibi für die Tatnacht gegeben haben soll.