Ingolstadt
"Industrie nimmt uns Mitarbeiter weg"

Handwerker sind gut ausgelastet klagen aber über Lehrlingsmangel und Abwerbepraxis großer Firmen

24.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr

Gute Auftragslage - doch zu wenig Nachwuchs: In praktisch allen Handwerkszweigen fehlt es entweder an geeigneten Lehrlingen, oder aber die frisch ausgebildeten Gesellen gehen den Betrieben schnell wieder verloren, weil die Industrie - allen voran Audi - bessere Konditionen bietet. Zudem machen etliche Branchen nicht die besten Erfahrungen mit Lehrlingen, die als Flüchtlinge ins Land gekommen sind. ‹ŒArch - foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Im regionalen Handwerk gibt es volle Auftragsbücher, aber häufig Personal- und vor allem Nachwuchsmangel. Die Firmen wünschen sich mehr Interesse für ihre Berufsbilder bei Schulabgängern mit höheren Abschlüssen und oft mehr Engagement bei den Bewerbern, die tatsächlich zu ihnen finden.

Kreishandwerksmeister Karl Spindler (Ingolstadt) versteht nicht so recht, warum immer mehr junge Leute in akademische Laufbahnen mit absehbar geringen Verdienstchancen drängen, wenn sie in bodenständigen Ausbildungsberufen womöglich in jeder Hinsicht glücklicher werden könnten. Bei der jährlichen Pressekonferenz der Kreishandwerkerschaft Ingolstadt-Pfaffenhofen konnten ihm die Sprecher etlicher Innungen da nur beipflichten: Quer durch die Branche wird der Lehrlingsmangel immer offensichtlicher und mitunter auch schon prekär.

Das Problem ist längst zweischneidig: Schulabgänger, die beste Voraussetzungen für einen Aufstieg im Handwerk mitbringen würden, versteigen sich dem Eindruck der Obermeister nach in nur vermeintlich perspektivreiche Studiengänge und werden dann, so Spindler, "unglückliche Akademiker". Andererseits müssen die Ausbilder in den Handwerksbetrieben oft genug konstatieren, dass ihre Lehrstellenberber von den Mittelschulen nicht das Zeug mitbringen, im jeweiligen Beruf zu bestehen. Mitunter fehle es an Ausbildungsfähigkeit - wegen schwacher mathematischer Vorbildung, wegen mangelnder Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse der Arbeitswelt oder wegen beidem.

Der junge Mensch, der im Handwerk noch den goldenen Boden erkennt, kommt den Ausbildungsbetrieben zunehmend abhanden, und wenn tatsächlich jemand guten Willens und nicht auf den Kopf gefallen ist, dann werden ihn die Lehrherren oft kurz nach der Ausbildung schon wieder los: "Die Industrie nimmt uns junge Mitarbeiter weg", klagt Josef Pfab (Langenbruck), stellvertretender Obermeister der Schreinerinnung Ingolstadt-Pfaffenhofen, ohne den Namen Audi zu nennen. Bei den Löhnen könne man als kleiner Betrieb da und dort vielleicht noch mithalten mit den großen Konkurrenten, bei den dort üblichen Prämien und anderen Vergünstigungen aber nicht mehr. Dann seien teure eigene Ausbildungsgänge für die Katz'.

Pfabs Forderung nach Lehrstellenbewerbern "mit einem gewissen Niveau" kann Kollege Peter Appel (Ingolstadt), Obermeister der Elektroinnung, nur unterschreiben. Er berichtete gestern von den beachtlichen Anforderungen an Spezialisten seiner Branche wie den Gebäudeelektroniker, jedoch auch von einem regelrechten Boom in der hiesigen Innung: Schon im zweiten Jahr in Folge dürften hier heuer um die 130 bis 140 Lehrstellen besetzt werden.

Infrage kommen dafür nicht nur die absoluten Überflieger (Appel hat in seinem Betrieb derzeit zum Beispiel eine Einser-Abiturientin in handwerklicher Ausbildung), sondern auch junge Leute, die vielleicht nicht Musterschüler waren, dafür aber guten Willen zum Lernen mitbringen. Die Innung ist nämlich mit der Zeit gegangen und hat unter maßgeblicher Mitwirkung junger Meister eine App entwickelt, mit der die Lehrlinge anhand eines bunt gemixten Fragenkatalogs wöchentlich ihr Fachwissen und damit ihren Ausbildungsstand überprüfen können. Jetzt soll das erfolgreiche Projekt womöglich auch landesweit in den Elektrofachbetrieben publik gemacht werden.

Dass auch das Bauhauptgewerbe in der Region viel zu bieten hat, verdeutlichte gestern Max Hechinger aus Pfaffenhofen. Der Obermeister der Bauinnung sprach von einer seit 2009 stabilen Konjunkturlage: "So eine lange Zeit durfte ich zuvor noch nie erleben." Abseits der auch auf dem Bau verspürten Lehrlingsproblematik sprach Hechinger auch Besonderheiten seiner Branche an. Die gesetzlich vorgegebenen energetischen Anforderungen an Neubauten seien allmählich nicht mehr nachvollziehbar: "Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis."

Kreishandwerksmeister Karl Spindler appellierte an die öffentliche Hand, bei kommunalen Projekten wenn eben möglich auch das regionale Handwerk im Auge zu haben. Es gebe sehr wohl Möglichkeiten, bei Ausschreibungen die Kriterien so zu fassen, dass auch jene Betriebe eine Chance hätten, die zum Steueraufkommen am Ort beitrügen.