Ingolstadt
Leben in Saus und Braus

Friseurmeisterin Sonja Rieke über ihre aufregende Zeit an der Seite des Baulöwen und Millionenbetrügers Alexander Richter

27.06.2013 | Stand 02.12.2020, 23:58 Uhr

 

Sie liest verzweifelte Menschen von der Straße auf, gibt Lehrlingen eine zweite Chance oder rettet einem überfahrenen Kater das Leben – Sonja Rieke hat ein großes Herz. Ihr Friseursalon, vor 30 Jahren eröffnet, ist Treffpunkt im Augustinviertel. Was viele nicht wissen: Die 55-Jährige hat eine bewegte Vergangenheit.

Sonja Maria Engelhardt kommt in der Maulklinik zur Welt, besucht die Volksschule auf der Schanz und macht danach eine Lehre als Friseuse. 1982 legt sie die Meisterprüfung ab und eröffnet einen Salon. „Jetzt möchtest du noch einen Mann“, sagt sich die junge, resolute Frau, fährt zum Bahnhof, besorgt sich die Süddeutsche und studiert die Rubrik „Bekanntschaften“.

Eine Annonce sticht ihr sofort ins Auge: „Geschäftsmann sucht Frau zum Repräsentieren“. Zum ersten Treffen fährt Sonja mit ihrem kleinen Fiat vor, der Unbekannte mit einem dicken Mercedes. Es ist Alexander Richter, Baulöwe und Lebemann, Präsident des Traditionsvereins FC Wacker München. „Er war viel älter als ich, aber charmant. Er hat was dargestellt“, erinnert sich Rieke.

Das erste Abendessen im Kannonier ist für die junge Frau etwas ganz Neues. „Ich war sehr nervös und wusste nicht, was ich bestellen sollte. Das kannte ich doch nicht aus meiner Pilskneipe.“ Welchen Wein wählt man zu welcher Speise? Sonja kennt nur Bocksbeutel.

Das zweite Rendezvous im Nachtclub des Bayerischen Hofes – eine Freundin ist zur moralischen Unterstützung dabei – endet in Richters Villa im noblen Münchener Stadtteil Grünwald: Überall weißer Mamor mit Fußbodenheizung, Stuck und Gold, antikes Mobiliar, ein riesiges Schwimmbad. „Das Haus hatte so viele Zimmer, dass ich am nächsten Tag meine Freundin nicht fand.“ Der Hausherr war schon ausgeflogen – zu seiner Orangenplantage in Sevilla.

Die beiden werden ein Paar, und peu a peu taucht die Ingolstädterin in das Leben der Reichen und Schönen ein. „Wenn wir beim Kegeln waren, lieferte der Käfer ein Büfett mit Austern und Datteln“, erzählt die 55-Jährige. „Mir wären Weißwürstl und Bier recht gewesen.“ Doch allmählich kommt Sonja auf den Geschmack, was das mondäne Leben betrifft. Als Richter sie nach drei Jahren fragt „Engelein, willst du mich heiraten“ – da sagt sie Ja. Am 17. Juli 1986 vermählt der damalige Standesamtsleiter Manfred Bierach das Paar, gefeiert wird groß im Münchener Königshof. „Da haben wir immer zu Mittag gegessen, denn kochen durfte ich ja nicht mehr. Im Königshof, da waren wir quasi daheim.“

Fortan führt Sonja Richter ein Leben in Saus und Braus, pendelt mit ihrem Gatten zwischen München und Monaco hin und her. „Am Anfang tat ich mich schwer“, erinnert sie sich. „Lauter Reiche, die ganze Etikette. Ich musste meine ganze Garderobe umstellen. Jede zweite Woche waren wir in Nizza im Negresco zum Essen.“ In dem Luxushotel erblickt sie einmal sogar den Schauspieler Omar Sharif. „Mei, sah der gut aus.“

Der Baulöwe lebt auf großem Fuße – auf zu großem, wie sich bald herausstellt. „Nach einem dreiviertel Jahr ging der Ärger los“, erzählt Sonja Rieke. „Da stand plötzlich der Gerichtsvollzieher bei mir im Salon.“ Die Friseurmeisterin hatte inzwischen einen zweiten Betrieb in München eröffnet. „Du kannst ja nicht den ganzen Tag nur im Swimmingpool herumschwimmen.“ Als sie heimkommt, herrscht in der Villa ein riesiges Durcheinander. Ihr Mann ist weg. Er hat sich ins Ausland abgesetzt.

Plötzlich steht die Frau vor einem Scherbenhaufen, vor dem Nichts. „Es war ein richtiger Skandal“, erzählt Sonja Rieke. „Alle Zeitungen waren voll.“ Alexander Richter wird verhaftet, wegen Betrugs angeklagt und zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Mit seinen Immobiliengeschäften hat er 100 Millionen Mark in den Sand gesetzt. Der Bauunternehmer wandert in den Bau. Sonja Richter besucht ihn regelmäßig in Stadelheim, schickt Päckchen ins Gefängnis. Er schreibt ihr Liebesbriefe und Gedichte. „Engelein, auch wenn ich alles verloren hab’ – das Wichtigste ist, du bleibst bei mir.“

Doch Sonja Richter lässt sich scheiden und verliert den Kontakt zu ihrem Ex-Mann. „Nachdem er seine Strafe abgesessen hat, ist er nach Miami gegangen“, weiß sie nur. „Er starb, als er von einem Zug erfasst wurde. Seine Leiche war total zerstückelt. Sein Tod ist ein Rätsel. Er liegt in einem Armengrab.“

Sonja, bodenständig wie eh und je, kehrt nach Ingolstadt und in ihr früheres Leben zurück, übernimmt wieder ihren Salon in der Sandtnerstraße. „Die Sache hatte sich natürlich herumgesprochen, aber alle waren froh, dass ich wieder hier war.“

Ihrem luxuriösen Lebensstil von einst trauert die 55-Jährige nicht nach. „Ich zehre heute noch davon, was ich damals gelernt habe über das Leben. Im Königshof oder in Monaco war ich seitdem nie wieder. Und zum Schwimmen geh’ ich halt jetzt ins Spaßbad.“