Ingolstadt
Granatsplitter beim Sperrfort

Armeemuseum veröffentlicht Kriegstagebuch des Pörnbacher Artilleristen Wilhelm Heider

01.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:23 Uhr

Eine im Lazarett gebastelte Zigarettenschachtel ist jetzt im ehemaligen Anwesen Wilhelm Heiders aufgetaucht. Dieter Storz präsentiert sie - Foto: Hammerl

Ingolstadt (ahl) „Wilhelm Heiders Erster Weltkrieg“, so der Titel des vom Bayerischen Armeemuseum herausgegebenen Tagebuchs des Pörnbacher Artilleristen, dauerte streng genommen nicht einmal einen Monat. Am 25. August 1914, 22 Tage nach der Mobilmachung, wurde der 23-Jährige in der Nähe des französischen Sperrforts Manonviller durch Granatsplitter so schwer verletzt, dass er die darauffolgenden 22 Monate im Lazarett verbrachte. Zufälligerweise in Ingolstadt, wo in einer Betriebshalle der Eisenbahn gerade ein Reservelazarett eröffnet worden war, das bis zu 2000 Soldaten aufnehmen konnte.

Mehr als eine leere, strohbedeckte Halle war dieses Lazarett nicht, als Heider am 5. September 1914 hier ankam. Über seine Erlebnisse hat er Tagebuch geführt. Die Aufzeichnungen blieben in der Familie erhalten und wurden in Ehren gehalten, auch wenn sie nicht mehr gelesen werden konnten. Auf Umwegen über das Bayerische Wissenschaftsministerium gelangte Heiders Tagebuch schließlich in das Armeemuseum. „Und wir konnten es dann lesen“, merkte Dieter Storz, stellvertretender Museumsleiter und Herausgeber des 120 Seiten starken kartonierten Buches, augenzwinkernd an.

Was die Historiker zu lesen bekamen, nämlich das einmalige Zeitzeugnis eines Militärlazaretts aus Sicht eines einfachen Mannschaftssoldaten, faszinierte sie zusehends. So sehr, dass sie es einer Veröffentlichung wert fanden, der die Familie spontan zustimmte. „Das ist hier auch eine Art Familienveranstaltung“, merkte Storz an, der drei Enkel und vier Urenkel Heiders zur Buchvorstellung im Reduit Tilly begrüßte.

Storz fasste die Geschichte in einem spannenden Vortrag zusammen, erläuterte, warum der Pörnbacher zur Artillerie nach Nürnberg eingezogen worden war – als Schmied konnte er mit Pferden umgehen –, erklärte dessen Aufgabe als Fahrer eines sechsspännigen Feldgeschützes, wie es zur Verwundung kam, und den späteren komplizierten Heilungsverlauf mit diversen Streckapparaten samt letztlich bleibender Behinderung, die ihm möglicherweise das Leben rettete. Denn anno 1917 wurde er aus dem Militärdienst entlassen, heiratete, bekam drei Töchter und starb mit 74 Jahren nach erfülltem Leben.

Storz vergaß auch nicht, das Schicksal der für Heider wichtigsten Ärzte zu beleuchten. Ludwig Konstam kam bei einem Lawinenunglück ums Leben, der Jude Guido Neuhäuser erlebte noch das „Dritte Reich“, beging aber 1942 Selbstmord, um der drohenden Deportation zu entgehen.

Berührende Passagen aus dem Tagebuch las Museumsleiter Ansgar Reiß vor. Der „lustigsten Nacht in unserem Zimmer“, der Nacht vor dem Abmarsch an die Front, folgte bald „die furchtbarste Stunde, die ich je erlebt habe“. Zweimal hat Heider einen Schutzengel, der ihm das Leben rettet. Die eigenen Kameraden sind tot oder zu stark verletzt, um zu helfen, erst ein vorbeikommender Infanterist bindet ihm den linken Arm ab und bewahrt ihn vor dem Verbluten. Der zweite, eine Viertelstunde später, nötigt ihn, die Stellung zu verlassen, statt dort zu verharren. „Als ich heraußen war, sagte er zu mir: ,Du bist ja der Wilhelm!’ Ich bejahte, konnte ihn aber nicht erkennen. Im selben Augenblick schlug eine Granate in den Graben, wo ich gelegen hatte.“

Heider schreibt sehr lebendig, sodass das kleine Büchlein alles andere als eine trockene Dokumentation darstellt. Auch im Lazarett scheint es trotz der großen Zahl an Patienten erstaunlich familiär zugegangen zu sein – zum Jahrestag im Lazarett gab es für die drei Jubilare, darunter Heider, ein Festessen, Blumen und ein Gedicht, vorgetragen von der siebenjährigen Ina Wolf, Töchterchen eines der Ärzte.

„Wilhelm Heiders Erster Weltkrieg“, herausgegeben von Dieter Storz, Redaktion Tobias Schönauer, Transkription Helmut Schniz, Lektorat Daniel Hohrath, broschiert, 120 Seiten, ist im Klartextverlag erschienen, ISBN 978-3-8375-1270-0, und kostet 14,95 Euro, erhältlich im Armeemuseum und im Buchhandel.