Ingolstadt
Freunde und Terrorhelfer

Die Polizei im NS-Staat: Ausstellungsrundgang mit einem altgedienten Kriminaler und einem Historiker

20.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:09 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Die Beamten begingen Verbrechen im Namen der Sicherheit. Die Rolle der Polizei im NS-Staat war schrecklich. Die Ausstellung „Ordnung und Vernichtung“ im Reduit Tilly zeigt die düstere Geschichte. Eine Besichtigungstour mit dem früheren Kripo-Chef Karl Häusler und dem Historiker Daniel Hohrath.

Er ist der Freund aller Kinder. „Der gute Schupo“ lächelt gütig – ein Mädchen und einen Buben an der Hand führend – vom Deckel eines Brettspiels aus dem Jahr 1932. Der Untertitel lautet: „Ein zeitgemäßes Verkehrsspiel für die Jugend“. Daneben liegt ein „Verkehrskasper“ in der Vitrine. Auch gute 80 Jahre alt. Die Handpuppe mit dem Helm darf als ein angestrengter Versuch gelten, das obrigkeitsstaatlich-autoritäre Wesen der Kaiserzeit zu überwinden. In diesem Fall, um die jüngsten Untertanen der ersten deutschen Demokratie kindgerecht an die Verkehrserziehung heranzuführen. „In der Weimarer Republik wurde versucht, die starke alte Orientierung der Polizei am Militär abzubauen und sie zu verbürgerlichen“, erklärt Daniel Hohrath, Historiker im Dienst des Bayerischen Armeemuseums. „Dazu wurde das Bild vom Freund und Helfer popularisiert.“

Doch drei Exponate weiter hat es sich ausgekaspert. Da hängen an der Wand kriegerische Fotos von Polizisten. Auch aus der Weimarer Zeit. Beamte mit schwerem Maschinengewehr im Kampf gegen Kommunisten und beim Erstürmungstraining. Der Versuch, die deutsche Polizei nach dem Ersten Weltkrieg zu demokratisieren, versackte im Stadium des guten Willens. Entsprechend einsatzfähig – und einsatzwillig! – marschierten die Freunde und Helfer gleich weiter in den nächsten Krieg, wo viele von ihnen, ziemlich viele sogar, für „Ordnung und Sicherheit“ im Namen der Diktatur Verbrechen begingen.

„Die Polizei hat sich von den Nationalsozialisten schnell und fast widerstandslos vereinnahmen lassen“, erklärt Hohrath. „Damit konnten die ihre Gewaltherrschaft rasch errichten. Die Polizei hat sich dem Regime, das sich ordnungsliebend gab, natürlich gern angepasst.“ Das zeige schon die neue Farbe der Uniformen: Feldgrau. Sie symbolisierte: Die Polizei steht an der Front und kämpft gegen „Volksfeinde“. Diese dienstbeflissene Unterwerfungsfähigkeit der Beamten darzustellen, ist ein Ziel der Sonderausstellung.

Karl Häusler verfolgt die Ausführungen des Historikers interessiert. Der gebürtige Sudetendeutsche ist Jahrgang 1929, kam 1951 zur neu gegründeten Bayerischen Bereitschaftspolizei, diente sich vom Streifenpolizisten zum Kriminaldirektor hoch. Häusler war Chef der Kripo in Ingolstadt und in Nürnberg. Er repräsentiert damit den demokratischen Neubeginn der Polizei. Jene Zeit, als die Beamten doch noch zu Freunden und Helfern wurden. „Das kann man alles aus der heutigen Zeit kaum mehr beurteilen“, sagt Häusler.

Obwohl er sich selbst mit der dunklen Vergangenheit der Polizei beschäftigt hat. Er schrieb vor Jahren einen Aufsatz über einen Bagatelltäter, der im KZ Dachau so gequält wurde, dass er später, nachdem ihn die Aufseher zum Capo befördert hatten, selbst brutale Verbrechen an Häftlingen beging. „Ich bin auf den Fall bei der Lektüre von Akten gestoßen, die vernichtet werden sollten“, erzählt Häusler. „Der Mann hat derart gewütet, dass ich den Artikel ,Vom Alimentenbetrüger zum Massenmörder’ genannt habe. Der Fall zeigt gut, wie ein harmloser Mensch in Not zum Schwerverbrecher werden kann.“

Man merkt Häusler den hartgesottenen Ermittler auch mit seinen 83 Jahren noch an. Dennoch lassen ihn die in der Ausstellung prägnant präsentierten Schicksale nicht unberührt. Zu sehen sind Verbrecherfotos der anderen Art: Polizisten bei der Deportation von Juden, bei Massenexekutionen in besetzten Gebieten; mit der Waffe in der Hand. Die Ausstellung zeigt auch, wie die Polizei gegen unbescholtene Bürger ermittelte, die verbotene Radiosender gehört hatten; das bedeutete meist den Tod. „Das alles hat die Polizei ganz selbstverständlich erledigt“, berichtet Hohrath. „Der Lack der Menschlichkeit, er war offensichtlich sehr dünn.“

„Ordnung und Vernichtung“ räumt mit verbreiteten Mythen auf, etwa dem von der Sicherheit im NS-Reich. „Es war kein bisschen sicherer!“ Vielmehr hätten die Nazis mit der Statistik getrickst und psychisch kranken Kleinkriminellen wie Bruno Lüdke Dutzende Morde angehängt. Hohrath interpretiert die Strategie so: „Mit der Illusion der perfekten Sicherheit hat sich die Polizei absolute Handlungsfreiheit ermöglicht.“

Nicht zuletzt belegt die Ausstellung, wie ungeniert und unbehelligt zahlreiche Verbrecher in Polizeiuniform nach 1945 ihre Karrieren fortgesetzt haben. Häusler kann sich noch an einige alte Kollegen mit zweifelhaftem Ruf erinnern. „Aber man hat besser nicht nachfragt. Wir waren auch dienstlich so eingespannt, dass wir das nicht weiterverfolgen konnten.“

Dass sich die Zeiten deutlich geändert hatten, durfte Wachtmeister Häusler etwa 1956 erleben. Mit einem Kollegen patrouillierte er durchs nächtliche Ingolstadt, um die Beachtung der Sperrstunde zu kontrollieren. Im Rappensberger brannte noch Licht. Hier zechte ein kleiner Kreis illegal! „Mein Kollege hat gesagt: ,Das sind honorige Leute. Da bleiben wir besser draußen.’“ Doch nicht mit Karl Häusler! „Die Sperrzeit gilt für alle, hab ich gesagt“, erzählt er. Plötzlich standen die Polizisten vor dem Oberbürgermeister, der damals noch ihr Dienstherr war und im Rappensberger seine Wiederwahl feierte. „Da hab’ ich den Satz wiederholt: ,Die Sperrstunde gilt für alle, Herr Oberbürgermeister!’ Das hat er auch gleich eingesehen. Später hat er mich sogar für meine Courage gelobt“, fügt Häusler an.

Kein Wunder. Josef Listl war jetzt ja auch ein lupenreiner Demokrat. Die Zeiten hatten sich wirklich geändert.