Ingolstadt
"Er muss kostenfrei entsorgt werden"

Schikane am Arbeitsplatz - Mobbingopfer will anderen Betroffenen in der Region helfen

02.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:52 Uhr
Fein säuberlich dokumentiert hat der 63-Jährige Unterlagen und Schriftverkehr von seinem letzten Arbeitsplatz. Auch, um zu beweisen, dass er sich nichts zuschulden kommen lassen hat. −Foto: Stephan

Ingolstadt (DK) Über sechs Jahre ist ein Mann aus dem Landkreis Eichstätt am Arbeitsplatz gemobbt worden. Der Verlust seines Selbstvertrauens, eine Scheidung und Selbstmordgedanken waren nur einige der schlimmen Folgen. Nun will der 63-Jährige anderen Betroffenen aktive Hilfe anbieten.

Es war ein schleichender Prozess, der den gebürtigen Ingolstädter nach einer Karriere mit vielen Stationen - unter anderem als externer Audi-Mitarbeiter für Elektronik, Testfahrten und Messebau - zur Zwangsrente seit Anfang dieses Jahres geführt hat. Er bezeichnet sich als "Workaholic, der viel um die Welt gekommen ist" und sogar im Krankheitsfall alles für den Job gegeben hat. Nun von den Schikanen an seinem letzten Arbeitsplatz und den Konsequenzen zu erzählen, fällt dem 63-Jährigen nicht leicht. "Psychisch bin ich ganz unten angelangt", sagt er. "Aber Aufgeben gibt es bei mir nicht, ich bin jemand, der kämpft."

Der Mann sitzt in seiner Küche in einem kleinen Ort im Landkreis Eichstätt und ist ein bisschen aufgeregt. Er möchte seinen Namen erst einmal nicht in der Zeitung lesen. Nicht unbedingt, um anonym zu bleiben - "ich stehe voll hinter meiner Geschichte". Allerdings will er seine Person nicht in den Mittelpunkt stellen. "Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt er. "Diese Erfahrungen möchte ich nicht präsentieren, weil ich Mister Wichtig bin, sondern mit dem Hintergrund, dass ich sicher nicht der Einzige bin." Sein Ziel sei es, anderen Betroffenen Mut zuzusprechen und zu sagen: "Ihr seid enttäuscht worden, aber hier ist jemand, dem ihr vertrauen könnt und der eure Probleme kennt."

Bis zu dieser Erkenntnis war es ein schmerzvoller Weg, wie aus seinen Erzählungen hervorgeht. "Anfangs hab' ich das gar nicht so mitbekommen", blickt der 63-Jährige zurück. Seit 2007 war er als Konstrukteur am Ingolstädter Standort eines Münchner Unternehmens angestellt, mit seinen Kollegen kam er nach eigenen Angaben immer gut aus. Schließlich erhielt die Firma den Zuschlag für ein Projekt - für das nicht ausreichend Personal vorhanden war. "Ich habe aber gesagt, wir schaffen das", erzählt der 63-Jährige, der daraufhin monatelang täglich bis zu 18 Stunden alleine am Projekt, für das eigentlich vier Leute nötig gewesen wären, arbeitete.

Bis er mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen in der Notaufnahme landete. Dass er überlebte, sei nicht selbstverständlich gewesen, sagt er. Trotzdem zog es ihn zwei Wochen später zurück in die Arbeit. "Eigentlich hätte ich auf Reha gehen sollen, aber mein Chef hat Geschenke geschickt und mich dreimal am Tag angerufen", erinnert sich der 63-Jährige an seinen Klinikaufenthalt. Er sei immerhin der Einzige gewesen, der das Projekt zu Ende bringen konnte.

Dann brach er erneut zusammen. "Ab diesem Zeitpunkt haben sie mich auf Stand-by gesetzt und wollten mich altersbedingt loswerden", beschreibt er. Da fing das Mobbing an. Die Worte "er muss kostenfrei entsorgt werden" sollen zwischen seinen Vorgesetzten gefallen sein. Über viele Jahre hinweg habe er keine richtige Aufgabe mehr bekommen. Seine acht Stunden habe er nur absitzen können. Jede Eigeninitiative sei abgeblockt worden. Auf Abmahnungen aus abstrusen Gründen, Drohungen zur Strafversetzung und gar die Anstiftung zu vorsätzlichem Betrug - "ich sollte falsche Reiseberichte schreiben, was ein Grund für eine fristlose Entlassung gewesen wäre" - folgten viele persönliche Anfeindungen und große Hilflosigkeit. "Was sollte ich tun?", fragt der Mann. "Ich wollte meinen Job nicht verlieren, was findet man schon mit 59 noch?"

Tatsächlich ergab sich aus 60 Bewerbungen gerade einmal ein einziges Gespräch, und auch juristische Unterstützung half nicht. Am Ende war kaum mehr Selbstvertrauen übrig. Er zog sich aus seinem Freundeskreis zurück, die Ehe litt. "Ich habe sogar die Scheidung eingereicht, um meine Frau zu schützen", erzählt der 63-Jährige. Es folgten zwei psychiatrische Aufenthalte im Klinikum. "Am Ende war ich an einem Punkt, an dem ich Schluss machen wollte."

Nach dem Eintritt in die Zwangsrente sowie dem Antrag auf Hartz IV - "nach so vielen Arbeitsjahren löst das Angstzustände aus" - und dem Besuch einer Selbsthilfegruppe fasste der Mann im Dezember schließlich den Beschluss, aktiv zu werden. Sein Plan sei es keinesfalls, eine Beratungsstelle zu gründen. Mit diesen habe er keine guten Erfahrungen gemacht. "Man sitzt zusammen, jeder erzählt von seiner Situation, und dann geht man auseinander, ohne viel erreicht zu haben", gibt er seine Erfahrungen wieder. "Es ist aber wichtig, die Leute nach solch einem Treffen nicht ihrem Frust und Schicksal zu überlassen."

An dieser Stelle ist sein Ansatzpunkt, denn er geht von einer anderen Erwartungshaltung der Betroffenen aus: "Man muss jeden Einzelnen fest an der Hand nehmen und sagen: ,So, jetzt gehen wir los und machen gemeinsam das und das.'" Sei dies nun der Gang zum Anwalt oder das Gespräch mit dem Chef. Denn genau diese aktive Hilfe fehlt dem 63-Jährigen bei den ihm bekannten Beratungsstellen.

Um eine zentrale Anlaufstelle bieten zu können, hofft er, möglichst bald ein Büro in der Stadt öffnen zu können. Außerdem ist er auf der Suche nach einem Juristen sowie prominenten Ingolstädtern, die sich für seine Sache begeistern und in ihrem Namen Unterstützung bieten können. "Dadurch, dass ich jetzt Pläne habe, geht es mir wieder besser", sagt er. Das spiegelt sich auch in seinem Privatleben wider: Vor Kurzem hat der 63-Jährige seiner Exfrau einen zweiten Heiratsantrag gemacht.

 

Wer als von Mobbing Betroffener Hilfe sucht oder Unterstützung anbieten will, kann sich per E-Mail ab sofort an mobbing_opfer_hilfe@yahoo.com wenden.