Ingolstadt
Kopfschuss aus nächster Nähe

Köschinger Doppelmord: Rentner feuerte ganzes Magazin auf Schwiegersohn und Tochter

29.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Bis tief in die Nacht sicherten die Experten der Kriminalpolizei im September 2015 die Spuren am Tatort in Kösching. Für eine 39-Jährige und ihren 35-jährigen Ehemann kam jede Hilfe zu spät. ‹ŒArch - foto: Rehberger

Ingolstadt (DK) Am sechsten Prozesstag zu dem mutmaßlichen Doppelmord von Kösching standen am Landgericht wieder Polizisten im Mittelpunkt. Ein Waffeningenieur des Landeskriminalamtes erklärte, dass die tödlichen Schüsse auf das Ehepaar aus deutlich weniger als einem Meter abgefeuert wurden.

Wie ein roter Faden zieht sich eine andere Frage durch den ganzen Prozess: Wie betrunken war der mutmaßliche Mörder an jenem 18. September 2015, als der 69-Jährige - wie er beim Prozessauftakt gestanden hat - auf seine Tochter und den Schwiegersohn schoss? Er soll nach eigenen Angaben davor eine halbe Flasche Cognac getrunken haben. Der Alkomat-Schnelltest der Polizei nach der Festnahme ergab knapp 0,6 Mikrogramm, ein überschaubarer Wert. Als "wirr" beschrieben gestern eine Polizistin und ein Polizist die Angaben des 69-Jährigen, als der mutmaßliche Täter sich bei ihnen im Streifenwagen alles von der Seele reden wollte. Sie meinten aber eher, dass chronologisch viel durcheinanderging. Der mutmaßliche Todesschütze habe gewaltige Stimmungsschwankungen gezeigt, so die Beamten: von zufriedenem Lächeln über den Tod des "verhassten" Schwiegersohns ("Er hat es verdient") bis zum Flennen über den Tod der leiblichen Tochter ("Man kann doch sein eigenes Kind nicht erschießen"). Diese Stimmungslage zog sich offenbar auch durch die späteren Vernehmungen bei der Kriminalpolizei. "Extrem schwierig" sei es laut den Kriminalbeamten deshalb gewesen, genau zu erkennen, ob die Alkoholisierung oder die psychische Angeschlagenheit für gewisse Reaktionen verantwortlich gewesen sein könnten.

Genauso zentral ist für das Gericht natürlich die Frage, mit welchem Ziel der Rentner an jenem Abend zu seinem Schwiegersohn ins Nachbarhaus marschiert war, die geladene Pistole hinten im Hosenbund, nachdem der 35-Jährige ihm nach monatelangem Streit dieses Mal den "Vogel" gezeigt hatte. Wollte er nur mit ihm ein deutliches Wort reden und sind dem Rentner dann - nach der nächsten derben Beleidigung ("A...loch") - wortwörtlich "alle Sicherungen durchgebrannt", wie er im Geständnis vor Gericht angab? Im Streifenwagen hatte er kurz nach der Tat anders geklungen: "Er hatte schon vor, seinen Schwiegersohn umzubringen", berichtete der erwähnte Polizist gestern.

Unterschiedliche Versionen gibt es auch zur Frage, ob der Rentner seine Tochter auch gezielt ins Visier nahm. In seinem Geständnis stritt er das ab. Im Polizeiauto klang das anders: Dass sich die Tochter vor ihren Ehemann stellte, sei ihm "in dem Moment egal" gewesen, so die Polizistin, die den Vater zuerst befragt hatte. Auch gegenüber einem Klinikumsarzt, der ihm auf der Polizeiwache Blut abnahm, war der Angeklagte deutlich: Die Tochter sei mitnichten in die Schussbahn gelaufen. "Das sei von ihm schon Absicht gewesen", so der Anästhesist.

Neun Patronen, also das komplette Magazin, feuerte der Rentner laut Gutachten aus seiner Beretta auf beide ab. Die Schusswaffe stammt wie der mutmaßliche Täter aus dem Kosovo, wo er sie vor vielen Jahren auf dem Schwarzmarkt erworben haben soll. "Nach dem ersten Schuss weiß ich nichts mehr, ich habe nur noch reingeballert, wie blöde", soll der 69-Jährige bei der Vernehmung den Kripobeamten gesagt haben. Er reagierte bei der Tat aber sogar so nüchtern, dass er eine Ladehemmung behob, wie das Video aus der Überwachungskamera am Haus zeigen soll.

Fünf Kugeln trafen den Schwiegersohn in Kopf, Nacken, Brust und Hüfte, zwei die 39-jährige Tochter in die Seite (nach einem Ellbogendurchschuss) und in den Rücken, zwei waren offenbar Fehlschüsse in Richtung beider Opfer. Wie der Waffeningenieur des Landeskriminalamtes dem Landgericht weiter erklärte, waren alle Patronen aus nächster Nähe abgefeuert worden, wie sich anhand von Schmauchspuren an der Kleidung der Getöteten feststellen ließ. Einer der beiden Kopftreffer beim Schwiegersohn könnte sogar aus kaum mehr als 20 Zentimetern abgefeuert worden sein, was wohl einer regelrechten Hinrichtung gleichkäme. So könnte einer der Erklärungsversuche für das Schussbild lauten, das sich dem Waffeningenieur bot.

Der Prozess wird morgen fortgesetzt. Dann stellt unter anderem der Rechtsmediziner, der die Leichen obduziert hat, sein Gutachten vor. Das Urteil soll Ende Juli fallen.