Ingolstadt
Ein nahezu nüchterner Todesschütze

Der mutmaßliche Doppelmörder von Kösching soll laut Gutachten definitiv doch nicht betrunken gewesen sein

30.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Ingolstadt (DK) Wenn der Professor Randolph Penning ein Gutachten vorträgt, dann geht es meist um schreckliche Details einer Bluttat. Gestern war für den Rechtsmediziner aus München keine Ausnahme, als er dem Schwurgericht am Ingolstädter Landgericht berichtete, was er bei der Obduktion der Opfer aus dem mutmaßlichen Köschinger Doppelmord festgestellt hat.

"Faktisch unrettbar" seien die 39-Jährige und ihr 35-jähriger Ehemann gewesen, nachdem sie mit Schüssen im eigenen Haus niedergestreckt worden waren. Die Rettungskräfte konnten an jenem 18. September 2015 nichts mehr für sie tun, auch wenn es vielleicht den Anschein gehabt hatte. "Es ist extrem erstaunlich, dass sie noch Lebenszeichen hatten, als die Ersthelfer kamen", berichtete der sehr erfahrene Experte Penning. Aber viel zu gravierend waren die Verletzungen des Ehepaars, nachdem der 69-jährige Vater - wie mehrfach berichtet und von ihm gestanden - auf Tochter und Schwiegersohn gefeuert hatte.

Fünf Schüsse trafen den Mann, zwei die Frau, bestätigte Penning der Schwurgerichtskammer um Vizepräsident Jochen Bösl. Es waren blutige, kaum zu ertragende Fakten, die Penning präsentieren musste. Der Schwiegersohn, das mutmaßliche Hauptziel des Angriffs, wies Treffer in Kopf und Gesicht, in die Brust und in die Hüfte auf - Letzterer erwischte die Hauptschlagader und war alleine "schon ganz sicher tödlich", so der Sachverständige. Zudem wurde das Opfer hier "im Kriechen oder im Liegen auf der Seite" getroffen. Auf alle Fälle dürfte der Mann komplett wehrlos gewesen sein, als die mutmaßlich tödliche Kugel in ihn eindrang. Auch ein Kopfschuss dürfte auf den schon bewusstlosen 35-Jährigen aus nächster Nähe abgefeuert worden sein.

Passend dazu schauten sich die Prozessbeteiligten im kleinen Kreis im Sitzungssaal die Fotos von der Obduktion an; alle außer dem Angeklagten, der sitzen blieb. Dafür stellte sich die Mutter des Getöteten, die als Nebenklägerin auftritt, dem Anblick. Sie erduldete die schlimmen Bilder, wischte sich mit dem Arm, auf dem sie sich offen sichtbar das Todesdatum und zwei Schmetterlinge hat tätowieren lassen, immer wieder Tränen aus den Augen.

Der mutmaßliche Mörder saß derweil auf der Anklagebank und atmete sichtbar schwer - besonders, als es um die tödlichen Verletzungen seiner Tochter ging. Wie Rechtsmediziner Penning erklärte, wurde sie gleich von der ersten Kugel ins Herz getroffen.

Auch auf sie hatte der Vater laut seinem Geständnis gefeuert, was er im Nachhinein gegenüber Polizisten, Ärzten und anderen Beteiligten zutiefst bereute. Das bestätigte gestern auch der Landgerichtsarzt Hubert Haderthauer, der den Angeklagten am Tag nach der Tat auf die Haftfähigkeit untersucht hatte. "Mei, ich hätte mich selber erschießen sollen", soll der Täter gesagt haben. Eine konkrete Suizidabsicht leitete der Arzt daraus aber nicht an. Fortwährend soll der 69-jährige Rentner nach einer Rechtfertigung für die Schüsse auf die Tochter (und nicht nur auf den von ihm offenbar verhassten Schwiegersohn) gesucht haben. "Sie hätte nur einmal was sagen müssen, ihrem Ehemann Paroli bieten sollen", soll der Beschuldigte gegenüber Haderthauer gesagt haben. Der "grausige Hund", so des Rentners eigene Worte über den Schwiegersohn, habe ihn "immer gedrückt, bis es nicht mehr ging". Unter anderem am Streit um den (pubertierenden) Sohn des Ehepaars und den Hausverkauf hat sich offenbar alles hochgeschaukelt, bis der Rentner an jenem Tag wortwörtlich rot sah und mit der geladenen Beretta ins Nachbarhaus marschierte.

Dass er dabei aber stark angetrunken sein soll, wie von der Verteidigung angeführt wird, kann nach Sachverständigenmeinung nicht sein. Wie Penning ausrechnete und ausführlich erläuterte, dürfte sein Promillewert zum Tatzeitpunkt weniger als 0,5 Promille betragen haben - so wie es ein erster Schnelltest der Polizei mit einem Atemalkoholgerät noch am Tatort auch annähernd ergeben hatte. Obwohl der Angeklagte angibt, eine halbe Flasche Cognac unmittelbar vor den Schüssen geleert zu haben. Die Wirkung davon kam, wie es auch laut Penning perfekt zu den Zeugenbeobachtungen passt, erst im Verlauf der nächsten drei Stunden. Erst dann zeigte der mutmaßliche Doppelmörder gegenüber Polizisten offenbar mehr und mehr "Ausfallerscheinungen". Davor sei dem Angeklagten nach Pennings Angaben wohl "das Adrenalin zu den Ohren rausgekommen". Heißt, die "durchgehende Stresssituation" verhinderte, dass der Alkohol anschlug. Eine Blutprobe in Polizeigewahrsam ergab um kurz vor 21 Uhr, also dann mehr als drei Stunden nach der Tat, satte 1,86 Promille. Auch das passe perfekt ins Bild, so Penning. Eine eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten ist nach diesen Erkenntnissen vom Tisch.

Der Prozess wird am Montag, 11. Juli, fortgesetzt.