Ingolstadt
Die Not ist groß

In der Familienberatung des Sozialdienstes katholischer Frauen geht es fast immer nur um ein Thema: das Wohnen

10.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:13 Uhr

Ingolstadt (DK) Es gibt Situationen, da sind selbst professionelle Berater überfragt. "Ich suche seit zwei Jahren für einen Mann eine neue Wohnung", sagt Karin Neumann. "Der wohnt im dritten Stock, ist lungenkrank, hat schwer zugenommen. Man müsste nur mit ihm tauschen - aber es findet sich nichts."

Karin Neumann arbeitet als Sozialpädagogin in der Familienberatung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF). Rund 300 Menschen aus der Region haben im vergangenen Jahr Hilfe bei der SKF-Familienberatung gesucht, die meisten Probleme hängen direkt oder indirekt mit der angespannten Wohnsituation in Ingolstadt und Umgebung zusammen. Auch bei Scheidungsberatungen ist die Frage, wer in der Wohnung bleiben darf, eines der drängendsten Themen.

Im Falle des lungenkranken Mannes sprach die Pädagogin mehrfach mit Wohnungsbaugesellschaften. Der Tenor: "Sie wissen doch, dass wir 3000 Wohnungen zu wenig haben."

Gerade für Frauen und Kinder sei die Situation inzwischen dramatisch, sagt Neumann. "Viele Frauen trauen sich gar nicht mehr, ihren Mann zu verlassen." Darunter seien auch Frauen, die Gewalterfahrungen gemacht hätten, aber vor den Alternativen Frauenhaus oder Obdachlosenunterkunft zurückschreckten, erklärt Neumanns Kollegin Renate Möller.

Dieses Dilemma habe auch schon besser verdienende Familien in der Region erreicht, sagt SKF-Geschäftsführerin Anne Stahl, einfach, weil es zu wenig Wohnungen gebe und die vorhandenen Angebote oft zu teuer seien. "Dass man viel getan hat, stimmt", sagt Stahl. Nur nehme die Zahl der Bedürftigen in mindestens genauso großer Zahl zu, wie die Stadt neuen Wohnraum ausweise. Dazu komme, dass ja bei Weitem nicht jede neue Wohnung auch eine Sozialwohnung sei.

Früher habe es wenigstens noch in den Ingolstädter Ortsteilen oder in Orten wie Reichertshofen oder Manching günstige Angebote gegeben, sagt Renate Möller. "Aber selbst in Neuburg ist jetzt der Wohnungsmarkt verbrannt."

Beim SKF gibt es zwei Wohnungen, in denen Menschen zur Überbrückung einer Notsituation wohnen können. Eine Wohnung steht der Schwangerschaftsberatung zur Verfügung, die andere der Familienberatung. In dieser Wohnung lebe schon seit einem Jahr eine Mutter mit Kind, sagt Neumann. Alle weiteren Anfragen müssten sie seitdem ablehnen, und es gibt offenbar viele Interessenten, nicht nur aus der eigenen Beratung: Auch Frauenhaus und Klinikum schickten viele Frauen zum SKF. "Aber da gibt's keine Möglichkeiten mehr", sagt Geschäftsführerin Stahl. Die in der Notwohnung lebende Frau treffe keine Schuld, betont Neumann. "Sie ist sehr aktiv bei der Suche - aber sie kommt einfach nicht weiter." Eine alleinerziehende Frau mit Kind erhalte einfach so gut wie nie den Zuschlag. Zu groß erscheine vielen Vermietern das Risiko eines Zahlungsausfalls, sie griffen lieber auf andere sicherer erscheinende Mieter zurück - die es ja in großer Zahl gebe.

"Die Frage ist, ob sich Privatvermieter nicht mal ein Herz nehmen", sagt Anne Stahl. Sie sollten versuchen, sich einmal in die Situation dieser Menschen hineinzuversetzen, die dringend eine Wohnung benötigen, aber keine bekommen. Der SKF biete den Vermietern auch an, als Vermittler zu fungieren. So wisse der Vermieter, dass er einen seriösen Ansprechpartner habe, falls es Probleme gebe.