Ingolstadt
Die Leidtragenden sind die Kinder

Ärger um Finanzierung der Frühförderung – Therapie zu Hause nur noch aus medizinischen Gründen

23.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

Auf spielerische Weise lernen: Das ist der Ansatzpunkt bei der Frühförderung. Der Leiter der Frühförderstelle des Caritaszentrums St. Vinzenz, Benedikt Bauer, arbeitet hier mit Fabienne - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Der Leiter des Caritaszentrums St. Vinzenz, Markus Pflüger, schlägt Alarm. St. Vinzenz ist Frühförderstelle für den Einzugsbereich Ingolstadt und den gesamten Landkreis Eichstätt. Jetzt sieht Pflüger die Frühförderung in ihrer Existenz gefährdet. Grund sind Unstimmigkeiten bei der Finanzierung.

Die Eltern leben mit ihren drei Kindern in einer kleinen Gemeinde im Landkreis Eichstätt. Der Vater ist bei der Bundeswehr und erst im Februar aus einem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrt. Bei zwei Töchtern – der kleinen Fabienne und ihrer zwei Jahre älteren Schwester – ist die Entwicklung verzögert. Sie haben Anspruch auf Frühförderung, die behinderten oder von Behinderungen bedrohten Kindern zusteht.

Bislang kommen die mit dem Caritaszentrum zusammenarbeitenden Therapeuten aus Eichstätt in die Wohnung der Familie oder in den Kindergarten. Die Mutter (29) besitzt keinen Führerschein, ihr Mann muss mit dem Auto in aller Früh zu seiner Arbeitsstelle nach Ingolstadt. Bisher, erklärt Markus Pflüger die Sachlage, konnten die Ärzte entscheiden, ob eine Frühförderung „ambulant“, also im Caritaszentrum in Ingolstadt, oder „mobil“, im heimischen Wohnzimmer, erfolgen soll. Neben medizinischen zählten dabei auch soziale Aspekte – etwa die vor allem in Landgemeinden oft sehr weite Entfernung zur für sie zuständigen Frühförderstelle. Die Einrichtung in Ingolstadt ist auch für den gesamten Landkreis Eichstätt zuständig. Weitere Frühförderstellen gibt es in Neuburg, Pfaffenhofen und Weißenburg.

Knapp 60 Prozent der Frühförderungen werden bisher „mobil“ durchgeführt. Bislang gab es bei der Finanzierung keine Probleme. Doch im Dezember vergangenen Jahres teilte die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) den Ärzten mit, „die Leistungserbringung therapeutischer Maßnahmen außerhalb der Praxisräume ist ausschließlich medizinisch zu begründen.“ Aus sozialen und privaten organisatorischen Beweggründen sei eine mobile Frühförderung nicht verordnungsfähig. Obwohl dies, wie Pflüger betont, in einem 2006 für das Land Bayern abgeschlossenen Rahmenvertrag zwischen dem Verband bayrischer Bezirke, der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern, den Trägerverbänden der Frühförderung und der KVB anders geregelt ist.

Die Anweisung der KVB an die Ärzte kam nicht ohne Grund. „Im November 2011 informierte uns die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen in Bayern über erhebliche Kostensteigerungen im Bereich der mobilen Frühförderung. In diesem Zuge wurde die Meinung vertreten, soziale Gründe dürften keinesfalls als Begründung für die Verordnung von mobiler Frühförderung dienen“, heißt es bei der KVB. Die AOK Bayern habe im Herbst 2013 darum gebeten, „nunmehr die Vertragsärzte über die Sichtweise der Krankenkassen zu informieren“. Um die Mediziner vor Regressansprüchen der Krankenkassen zu schützen, sei die KVB dieser Bitte nachgekommen.

Der Rahmenvertrag regelt, dass für medizinisch-therapeutische Leistungen die Krankenkassen Kostenträger sind, für sozial und heilpädagogische sowie psychologische die Sozialhilfeträger (Bezirke), erklärt Helga Leirich von der AOK Bayern im Namen der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern. „Kriterium für eine Kostenübernahme der medizinisch-therapeutischen Leistungen bei der mobilen Frühförderung durch die gesetzlichen Krankenkassen ist dabei die medizinische Notwendigkeit.“ Diese werde durch die Verordnung des behandelnden Arztes begründet.

Etwa 85 Kinder werden laut Benedikt Bauer, Leiter der Frühförderstelle des Caritaszentrums, derzeit über St. Vinzenz in der Frühförderung betreut. Sie bekommen Logopädie, Ergotherapie oder Heilpädagogik, Ärzte und Therapeuten sind dabei stets im Austausch. Bei knapp 60 Prozent der geförderten Kinder kommen die Therapeuten ins Haus. Das kostet pro Stunde etwa 20 Euro mehr als die ambulante Frühförderung, habe aber eine deutlich bessere Wirkung. „Allein schon, weil der Therapeut das Umfeld des Kindes besser kennenlernt“, so Bauer.

Sollte die Frühförderung von den Ärzten künftig nur mehr ambulant verordnet werden, könnten die kleine Fabienne und ihre Schwester sie nicht mehr in Anspruch nehmen. Bei zwei Kindern viermal die Woche zu unterschiedlichen Zeiten nach Ingolstadt zu kommen, „wäre für uns nicht zu bewerkstelligen“, sagt die Mutter. Zumal es auch keine Verwandten gebe, die sich während dieser Zeit um die anderen Kinder kümmern könnten. Die Leidtragenden wären die Kinder.

Die Freie Wohlfahrtspflege, der unter anderem die Frühförderstellen von Arbeiterwohlfahrt, BRK, Caritas und Diakonie angehören, fordern „mit Nachdruck eine Rücknahme der auslösenden KVB-Information“. Sie haben sich in dieser Angelegenheit ans bayerische Gesundheitsministerium gewandt. Bislang allerdings ohne Erfolg.