Ingolstadt
Die Brücke zwischen Stadt und Bürger

Seit einem halben Jahrhundert gibt es in Ingolstadt Bezirksausschüsse ein Erfolgsmodell

26.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:14 Uhr

Ein Münchner folgte dem Münchner Vorbild: Der Sozialdemokrat Otto Stinglwagner (1925 - 2013, Ingolstädter Oberbürgermeister von 1966 bis 1972) initiierte 1967 die Einführung der zunächst fünf Bezirksausschüsse (BZAs). Heute sind es zwölf. - Foto: DK-Archiv

Ingolstadt (DK) Als einzige Stadt Bayerns hat Ingolstadt vor 50 Jahren freiwillig Bezirksausschüsse eingeführt. Heute sind sie nicht mehr wegzudenken. Mit einem Festakt wird das Jubiläum am heutigen Donnerstag im Lechner-Museum gewürdigt.

Das Konzept stammte aus München, aber das war in diesem Fall nicht ganz so schlimm. Dort sind nach dem Zweiten Weltkrieg Bezirksausschüsse eingeführt worden. Diese bürgernahen Stadtteilgremien dienen der Entlastung des Stadtrats und der Verwaltung. Wegen ihrer Größe ist die Landeshauptstadt nach der Gemeindeordnung verpflichtet, Bezirksausschüsse zu bilden. Die Ingolstädter übernahmen diese Institution 1967 freiwillig; bis heute sind München und Ingolstadt die einzigen Städte Bayerns, in denen es Bezirksausschüsse gibt (die Münchner kürzen sie übrigens mit BA ab, die Schanzer sagen BZA, aber das nur am Rande).

Die Aneignung des Münchner Vorbilds vor 50 Jahren verdankte sich einem Münchner: Otto Stinglwagner. Der Jurist war auf seiner Beamtenlaufbahn 1955 im Landratsamt Ingolstadt gelandet. 1958 wurde der 33-Jährige zum Landrat gewählt, bei der Kommunalwahl 1964 verteidigte der parteilose Zugereiste sein Amt durchaus souverän mit 99,4 Prozent; er war der einzige Kandidat.

Weil dem Landkreis Ingolstadt im Zuge der Gebietsreform 1972 die Auflösung drohte, trat Stinglwagner 1966 bei der Oberbürgermeisterwahl in Ingolstadt an - und siegte. Kurz zuvor war er noch SPD-Mitglied geworden. Die Einführung der - zunächst fünf - Bezirksausschüsse im Sommer 1967 war eine seiner ersten Amtshandlungen.

Die CSU hatte anfangs Bedenken. "Braucht's das wirklich", fragte etwa Stadtrat Anton Schenkel. Was das alles koste! Aber OB Stinglwagner warb leidenschaftlich für seine Initiative. Er erwiderte: "Die öffentliche Verwaltung ist zu allen Zeiten darauf angewiesen, mit der ihr anvertrauten Bürgerschaft möglichst auf allen Ebenen guten Kontakt zu halten. Der Gemeinsinn der Bürgerschaft, ihre Mitverantwortung, ihr Rat und ihre Kritik sind der Ausdruck einer lebendigen Selbstverwaltung und die wichtigste Voraussetzung für das Gedeihen eines demokratischen Gemeinwesens."

Große Worte. Aber Stinglwagner lag richtig. Die Bürgergremien entwickelten sich sofort zu einem Erfolgsmodell. Als die ersten BZAs besetzt wurden, "war vor allem in den rasch wachsenden Wohngebieten ein außerordentlich lebhaftes Interesse für die Förderung der örtlichen Belange und eine große Bereitschaft zur persönlichen Mitarbeit zu verzeichnen", berichtete damals der DK.

Beim Start 1967 gab es fünf BZAs mit zusammen 69 Mitgliedern, heute sind es zwölf Gremien mit 173 Mitgliedern. Die engagieren sich ehrenamtlich und werden nicht gewählt, sondern von den Parteien vorgeschlagen. Die Sitzverteilung richtet sich nach dem Kommunalwahlergebnis im jeweiligen Stadtbezirk.

Volksnah formuliert, kann man die Bezirksausschüsse auch so charakterisieren: Hier trinken die Mitglieder gern mal während der Sitzung ein Bier (meist tagt man in Wirtshäusern), und die Besucher auch. Sie sind hier nicht nur Zuschauer, sondern haben Rede- und Antragsrecht, wenn sie im Stadtteil wohnen. Die Bürger können Probleme, Beschwerden oder Anregungen vortragen. Der BZA baut bei allen Anliegen eine Brücke zur Stadtverwaltung. Das Ortsteilgremium erteilt auch Bauvorhaben und anderen Projekten im Bezirk sein Einvernehmen; oder eben nicht. Diese Beschlüsse sind zwar für die Stadträte nicht bindend, man darf deren Einfluss aber nie unterschätzen - eben weil die Willensbekundungen der BZAs mitten aus der Bürgerschaft kommen.