Ingolstadt
"Willkür und Menschenfeindlichkeit"

Kritik an "Auseinanderreißen von Familien" Bündnis demonstriert gegen Abschiebepraxis der Regierung

19.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:17 Uhr

Ein Bündnis von Aktivisten demonstrierte am Audi-Kreisel gegen die Abschiebepraxis der Regierung von Oberbayern. Sie drückten immer wieder die Fußgängerampel - und übermittelten ihre Botschaft den anhaltenden Autofahrern. Die Polizei setzte der nicht genehmigten Demonstration ein Ende. - Foto: Privat

Ingolstadt (DK) Die Kritik an der Regierung von Oberbayern im Umgang mit Flüchtlingen reißt nicht ab. Jüngster Streitpunkt ist die geplante Abschiebung einer Familie aus Albanien aus dem Aufnahme- und Rückführungszentrum Ingolstadt-Manching, die offenbar erst von der Bundespolizei gestoppt wurde. Die Behörde weist die Kritik zurück.

Es war Vormittag, als die Polizei den Vater und seine knapp zwei Jahre alte Tochter abholte. Die Mutter war zu der Zeit in der Psychiatrie des Klinikums untergebracht, die anderen beiden Kinder, 12 und 14 Jahre alt, befanden sich in der Obhut des Jugendamtes. Der Mann und die Tochter sollten zurück in ihre Heimat gebracht werden, von wo die Familie ihren eigenen Angaben nach aus Angst vor Blutrache geflohen war. Erst die Bundespolizei stoppte die Abschiebung am Frankfurter Flughafen, sozusagen in letzter Sekunde. Sie erkannte die verschiedenen vorliegenden Atteste der Familie als triftig genug an. Dies ist zumindest die Version des bayerischen Flüchtlingsrates, einer nichtstaatlichen Organisation mit Sitz in München, der die versuchte Abschiebung von Vater und Tochter, die sich am vergangenen Mittwoch ereignete, als "Tabubruch" bezeichnet, hätte sie doch eine Familie getrennt.

Ein Bündnis von Aktivisten, zu dem auch der bayerische Flüchtlingsrat gehört, hat die Aktion zum Anlass genommen, am Gründonnerstag im Berufsverkehr gegen die Abschiebepraxis der Regierung von Oberbayern ein Zeichen zu setzen. Am späten Nachmittag traten etwa 20 Aktivisten vor den Toren des Rückführungszentrums am Audi-Kreisel auf den Plan. Sie drückten immer wieder die Fußgängerampel, warteten, bis die Autofahrer stehen bleiben mussten und traten mit Transparenten gegen die Abschiebepraxis auf die Fahrbahn - so lange, bis die Polizei der nicht genehmigten Demonstration ein Ende setzte (DK berichtete). Ein Autofahrer hatte angerufen und die "Verkehrsbehinderung" gemeldet, so der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord, Hans-Peter Kammerer. Die Polizei war mit etwa zehn Beamten angerückt und hatte die Personalien von 14 an der Demo teilnehmenden Aktivisten festgestellt. Der Staatsschutz ermittelt nun, ob sie sich eines Verstoßes gegen das Versammlungsverbot schuldig gemacht haben.

Laut dem Bündnis wollte die Regierung die ganze Familie schon drei Wochen zuvor abschieben. Die Polizei soll den Vater und den 14 Jahre alten Sohn dabei gewaltsam an Händen und Füßen gefesselt haben. "Sieht so humanitäre Hilfe aus", fragte die Bundestagsabgeordnete der Linken, Eva Bulling-Schröter, in einer Pressemitteilung, nachdem sie von dem Abschiebeversuch erfahren hatte, und kritisierte "das Konzept der CSU", Menschen, die hier Schutz vor Krieg oder anderer Gewalt suchen, "den Aufenthalt unter allen Umständen so schlecht wie möglich zu machen". "Das Auseinanderreißen von Familien durch Abschiebung, noch dazu, während einzelne Familienmitglieder unter zum Teil schweren Krankheiten leiden, ist ein Skandal", so Bulling-Schröter weiter. Sie forderte deshalb die Regierung von Oberbayern auf, "sich zu überlegen, ob dieser Umgang mit traumatisierten Menschen noch den Menschenrechten entspricht, oder ob hier nicht die Begriffe Willkür und Menschenfeindlichkeit eher angebracht wären".

Das sieht die Behörde anders: "Die Regierung von Oberbayern hält sich selbstverständlich an Recht und Gesetz", erklärte Pressesprecher Martin Nell gestern nach einer Anfrage des DK, verweist jedoch grundsätzlich auf das für die Ausführung von Asylverfahren zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Den in der Einrichtung untergebrachten Asylsuchenden stünden alle Rechtsmittel offen. Die Betroffenen könnten jede behördliche Entscheidung durch unabhängige Gerichte überprüfen lassen. Dafür gebe es sogar eine Stelle des Verwaltungsgerichts Münchens in der Einrichtung.

Nell bestätigt den Abschiebeversuch am vergangenen Mittwoch: An dem Tag habe es eine Sammelrückführung nach Albanien gegeben. Doch bei der fünfköpfigen Familie, die schon einige Wochen zuvor "wegen der Reiseunfähigkeit eines Familienmitglieds am Flughafen" wieder in ihre Unterkunft zurückgebracht worden war, habe man vergangenen Mittwoch kurzfristig erneut von einer Trennung abgesehen, "nachdem der am Flughafen anwesende Arzt die Reisefähigkeit eines der Kinder verneinte". Doch Nell stellt klar: "Sämtliche Familienmitglieder sind auch hier vollziehbar ausreisepflichtig." Heißt: Sollte das Kind, das laut Flüchtlingsrat an einer ansteckenden Krankheit leidet, reisefähig sein, wird abgeschoben.

Eine andere Familie wurde an dem Tag tatsächlich voneinander getrennt: Offenbar befand sich die Mutter noch im Klinikum, als der Vater und die fünf Kinder nach Albanien geflogen wurden. Die Frau wisse gar nicht, was mit ihrer Familie geschehen ist, kritisiert Mia Pulkkinen vom Flüchtlingsrat.

Kritik gab es gestern auch von den oberbayerischen Grünen: Bezirksvorsitzende Agnes Krumwiede monierte, die Regierung habe der Landtagsabgeordneten Katharina Schulze einen vor Wochen für den heutigen Donnerstag angefragten Besuch in der Ingolstädter Rückführungseinrichtung kurzfristig abgesagt und mit der Erarbeitung neuer Konzepte für die Einrichtung begründet. Man habe keinen Termin "abgesagt", sondern lediglich einem konkreten Terminwunsch nicht folgen können, antwortete Behörden-Sprecher Nell. Es sei geplant, in Abstimmung mit dem Sozialministerium demnächst einen Termin für Landtagsabgeordnete anzubieten.