Ingolstadt
Von Kindern und Kosten

Gebührenerhöhung in städtischen Kitas versetzt viele Eltern und Politiker noch immer in Rage

04.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:05 Uhr

"Ich bin nicht der Gegner, ich bin Verwaltung", betonte Amtsleiter Maro Karmann (l.) bei der SPD-Diskussion am Donnerstag. Von rechts: Achim Werner, Maria Frölich und Can Devrim Kum. - Foto: Silvester

Ingolstadt (DK) Zweimal hat die Stadt kurz hintereinander die Gebühren in ihren Kindertagesstätten erhöht. Auch der Personalschlüssel wurde leicht angehoben. "Ist das noch sozial", fragt die SPD Nord, die am Donnerstagabend zu einer Diskussion eingeladen hatte. Die verlief sehr meinungsfreudig.

Maro Karmann, Leiter des neu geschaffenen städtischen Amts für Kindertagesstätten und stellvertretender Kulturreferent, ist parteilos und auch sehr froh, kein Politiker zu sein. Deshalb stellte er sich gelassen einer nicht gerade ausgewogenen Konstellation: In dem gut gefüllten Saal der Gaststätte des TSV Nord waren Sozialdemokraten und protestbereite Eltern von Kindergartenkindern klar in der Mehrheit. Die SPD Nord und ihr Vorsitzender Can Devrim Kum hatten zu der Podiumsdiskussion geladen. Karmann musste allein gegen eine Phalanx von Kritikern antreten, die wegen der Gebührenerhöhungen und der Personalsituation in den städtischen Kitas hart mit der Stadt ins Gericht gehen. Es waren aber auch viele Erzieherinnen gekommen, die Karmann sehr schätzen, wie zu erkennen war. Er argumentierte stets auf der Grundlage seiner Zahlen und der Gesetzeslage. Dazu schickte er voraus: "Ich bin nicht der Gegner, ich bin Verwaltung. Und ich bin froh, dass ich kein Politiker bin!"

Der Amtsleiter musste sich einiges anhören. Maria Frölich, Sprecherin der Ingolstädter Familieninitiative IN.FAM, die sich in diesem Jahr aus Protest gegen die Kita-Politik der Stadt formiert hat, sparte nicht an offensiven Formulierungen: Die zweimalige Erhöhung der Gebühren innerhalb weniger Monate, "insgesamt um 30 Prozent", plus 20 Prozent Aufschlag beim Essen, habe die Eltern mobilisiert. "Die Kommunikation der Stadtverwaltung zu den Gründen der Erhöhung war geprägt von Intransparenz. Die Entscheidung für die Sparmaßnahme fand nach einer ausgesprochen bürgerunfreundlichen, langen, nichtöffentlichen Debatte im Stadtrat eine knappe Mehrheit", sagte Frölich.

Die Stadt argumentiert mit dem Einbruch bei der Gewerbesteuer und der mit Streiks erkämpften Tariferhöhung für die Erzieherinnen um vier Prozent. Diese Personalkosten müssten ausgeglichen werden - auch, um gegenüber den freien Trägern von Kitas gerecht zu bleiben, wie es Karmann schon damals begründet hat. Maria Frölich, Mutter von zwei Kindern und Elternbeirätin, sieht das jedoch anders: "Die Qualität, die man uns mit der damaligen Erhöhung ,verkauft' hat, wird massiv verschlechtert, und nun versucht die Verwaltung, den Personalschlüssel anzuheben und durch die Hintertür nochmals Geld einzusparen", klagte die IN.FAM-Sprecherin. "Es wird zunehmend Sozialabbau betrieben - auf dem Rücken der Kinder und der Erzieherinnen, die einen tollen Job machen!" Da gab es starken Beifall.

Die Sozialdemokraten im Saal waren beeindruckt, als Frölich schmetterte: "Die Realität lässt sich nicht schönreden! Wenn wir uns immer nur mit den Schlechteren vergleichen, können wir nicht besser werden!" - "Sie gehören eigentlich zu uns", bemerkte Achim Werner, der SPD-Fraktionsvorsitzende (tut sie aber nicht). Er führte die Attacke gleich fort: "Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, den Kindern das Rüstzeug für eine immer komplexere Welt mitzugeben." Die Kindertagesstätten müssten grundsätzlich gebührenfrei sein. "Wenn sich das ein Land wie Deutschland nicht leisten kann, dann sperren wir den Laden zu!" Für SPD-Stadtrat Jörg Schlagbauer ist es "ein Armutszeugnis, dass wir überhaupt über dieses Thema diskutieren müssen". Im Rathaus tue man ja gerade so, als sei Ingolstadt schon pleite. Er kritisierte, "dass diese Stadt wie ein Konzern geführt wird, aber das passt nicht zu einer Stadt!"

Maro Karmann wiederholte die Argumente der Verwaltung: Zehn Jahre lang seien die Gebühren nicht erhöht worden. Er bat darum aufzupassen, bei den Zahlen "nichts durcheinanderzuwerfen". Die Erhöhung des Personalschlüssels von 1:9,5 auf 1:10,3 bis 1:10,5 - alles Durchschnittswerte - sei sehr moderat, auf drei Jahre befristet und liege unter der gesetzlichen Grenze von 1:11. "So weit wollen wir aber nicht gehen." Das Verhältnis 1:10 bedeute indes nicht, dass immer zehn Kinder und eine Erzieherin beisammen sind. Es gebe je nach pädagogischem Bedarf - etwa für Kinder mit Behinderung oder für Kinder, die schlecht Deutsch können - unterschiedliche Personalschlüssel. Auf diesem sehr komplexen Terrain spielten weitere Faktoren eine Rolle, so Karmann. Er erinnerte auch daran, dass die Stadt zusätzliche Küchenkräfte für die Kitas eingestellt hat und immer noch einstellt. Damit müssten Erzieherinnen nicht mehr beim Anrichten des Essens mithelfen, so gewinne man Zeit für die Kinder. "Das bringt eine deutliche Entlastung der pädagogischen Mitarbeiterinnen."

Karmann schloss mit einem Appell: "Bitte haben Sie ein Herz für die Kinder in nicht kommunalen Einrichtungen." Denn die freien Träger betreiben zwei Drittel aller Ingolstädter Kitas. "Es darf keine zwei Klassen geben! Wir können uns nicht aus dem Steuertopf bedienen und die freien Träger abhängen!" Auch deshalb habe die Stadt die Gebühren erhöht.

Der meinungsfreudige Abend ging ohne jede Entgleisung zu Ende. "Sie sind nicht der Gegner!", betonte Moderator Kum nach Karmanns Ausführungen. Und der dürfte sich trotzdem einmal mehr darin bestätigt gesehen haben, kein Politiker geworden zu sein.