Ingolstadt
Schneller Weg in die Sackgasse

Fahrradaktivist Thomas Kirchhammer klagt gegen die Straßenbaupläne aus der eigenen Stadtverwaltung

10.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr

Rebellierender Radler: Thomas Kirchhammer stellt den Straßenplänen der Stadt ein vernichtendes Zeugnis aus. ‹ŒArch - foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Kurz vor Weihnachten 2016 hat die Regierung von Oberbayern grünes Licht für den letzten Teil der Umgehung Etting gegeben. Ein knappes Jahr danach ist über drei Klagen gegen das Verkehrsprojekt Schneller Weg noch längst nicht entschieden - eine davon mit besonderer Sprengkraft.

Walter Hoferer (58), der Chef des städtischen Tiefbauamtes, hat diese Frage schon oft gestellt bekommen: Wann denn endlich die Sache mit dem Schneller Weg vorwärts gehe, die seit Jahrzehnten in den Planungsbüros und Behörden die Aktenordner füllt. Wann mit dieser von der Stadt immer wieder versprochenen Entlastungsstraße zu rechnen sei.

"Mein Ziel ist es", fand der Amtsleiter im Gespräch mit dem DK eine eingängige Antwort, "dass die Straße fertig ist, bevor ich in Pension gehe." Das werde grob geschätzt wohl in rund fünf Jahren passieren. Doch ausgerechnet ein Kollege aus der eigenen Stadtverwaltung könnte Hoferers Zeitplan durchkreuzen: Thomas Kirchhammer vom Rechtsamt, der es mit seinen 61 Jahren auch nicht mehr weit bis zur Pension hat.

Der als engagierter Radler und ADFC-Funktionär seit Langem bekannte Beamte hat gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Oberbayern geklagt und damit gegen die Rechtsgrundlage des Projekts Schneller Weg. Kirchhammer betont aber ausdrücklich, dass er als "privater Kläger" aktiv geworden sei, der "die Interessen der Radfahrer vertritt", und nicht im Auftrag eines Verbandes oder der Stadt.

Er sei insofern klageberechtigt, argumentiert er, als er "persönlich von der Planung betroffen" sei, da er sich "mit dem Fahrrad nach wie vor im gesamten Stadtgebiet bewege und damit von einer unzureichenden Planung persönlich gefährdet werde". Wohnhaft ist der Vorkämpfer des Radverkehrs nämlich inzwischen im Nachbarort Eitensheim.

Seine Klage bemängelt, dass die Planer sich nur an den Interessen "des Kraftfahrzeugverkehrs, insbesondere des Anfahrts- und Zulieferverkehrs zur Audi", orientiert hätten, also auf den Gedanken der "autogerechten Zeit" aus den 60er-Jahren zurückgriffen. Der Fußgänger- und Radverkehr werde "auf die Restflächen und Umwege verwiesen". Sowohl die Stadt als auch die Planfeststellungsbehörde des Freistaates hätten damit gegen verbindliche Regelwerke und Grundsätze verstoßen, konstatiert Kirchhammer, der dem DK vorab Auszüge aus seiner Klagebegründung zur Verfügung stellte. Darin untermauert er seine Einschätzung als Interessenvertreter des Radverkehrs mit juristischen Details, verweist aber auch auf Empfehlungen des jüngsten Deutschen Verkehrsgerichtstags.

Abweichungen von den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) und Empfehlungen für den Radverkehr (ERA 2010) müssten begründet und dürften nicht, so Kirchhammer, "wie von der Planfeststellungsbehörde vorgenommen, mit pauschalen Argumenten zurückgewiesen werden". Allein durch die fehlende Prüfung erweise sich die Planfeststellung als fehlerhaft. Konkret nimmt der ADFC-Funktionär die vorgesehene separate Fußgänger- und Radunterführung an der Nürnberger/Beilngrieser Straße ins Visier. Der Gehweg sei dort nur 1,60 Meter breit und unterschreite damit "erheblich das Regelmaß von zwei Metern". Zudem werde der Radweg "an der ungünstigsten Stelle in einer Kurve geführt", stellt der Kläger fest. "Es muss jedem seriösen Planer auffallen, dass Radfahrer in einer Kurve von der Fliehkraft aus der Bahn gelenkt werden können. Unfälle zwischen den Radfahrenden sind somit aufgrund der sehr ungünstigen Sichtverhältnisse hier selbst dann zu erwarten, wenn sich alle Beteiligten bemühen, gegenseitige Rücksicht walten zu lassen."

So geht es weiter bei Kirchhammer - Punkt für Punkt, bis er zu dem Schluss kommt: "Insgesamt macht dies den Radverkehr unattraktiv und gefährlich. Die Planung ist daher rechtswidrig, da elementare Grundsätze der Verkehrsplanung nicht beachtet wurden."

In den Ohren des neuen städtischen Rechtsreferenten Dirk Müller, im Rathaus Kirchhammers Vorgesetzter, mag dies alles sehr befremdlich klingen. Als sich der DK kürzlich bei ihm und Tiefbauchef Hoferer nach dem Stand des Verfahrens erkundigte, verwiesen sie darauf, dass ihnen die Klagebegründungen des Verwaltungsgerichts noch gar nicht vorlägen. "Wenn wir den rechtskräftigen Beschluss haben", sagte Hoferer, "können wir etwa ein Jahr später mit dem Bau beginnen." Während bei einem der weiteren Kläger eine Einigung bereits in Sicht sei, habe der Bund Naturschutz keine Rechtsmittel eingelegt, obwohl er direkt von der Trasse betroffen ist.

Die Ingolstädter Kreisgruppe hatte sich zwar gegen die aktuelle Straßenplanung und für eine Untertunnelung der Bahnlinie ausgesprochen, was der Stadt jedoch zu teuer war. Die Brauereiallee - mittlerweile im Eigentum des BN-Landesverbandes - muss demnach von der neuen Trasse durchschnitten werden. "Da mit den Planungen ein Stück Ingolstädter Natur kaputt geht", argumentiert Kreisvorsitzender Michael Würflein, "möchte der BN anstelle eines finanziellen Ausgleichs ein Grundstück erhalten." Ziel: Auf der eigenen Fläche soll etwas für die Natur getan werden, vor Bebauung soll sie dauerhaft geschützt sein.

Ursprünglich hatten Stadt und BN ein rund 1,2 Hektar großes Tauschgrundstück auf der Nordseite des Augrabens zwischen Beilngrieser Straße und Schneller Weg im Auge. Doch "nach reiflichen Überlegungen und einer Ortsbegehung mit Vertretern der Landesgeschäftsstelle", so Vorsitzender Würflein, entschied sich der BN gegen diese Lösung, weil die Ölpipeline im Untergrund dem Verband bei einem Leck und einer möglichen Firmeninsolvenz als ein zu großes finanzielles Risiko erschien. Jetzt will die Stadt stattdessen eine andere Fläche anbieten.

Warum ausgerechnet ein so extrem zähes Verkehrsprojekt "Schneller Weg" heißt, gibt den Ingolstädtern ein stetes Rätsel auf. Klaus Wittmann, Landwirt und Ex-Vorsitzender des Bundes Naturschutz, verweist auf den Flurnamen "Im Schneller" und das Bayerische Wörterbuch von Schmeller: Dort ist von "Schnellblumen, die in dem Korn wachsen," die Rede (Klatschmohn). "Das ist eine plausible Erklärung, die auch landwirtschaftlich passt."
 

Kommentar von Reimund Herbst

Was ist das Prädikat „Fahrradfreundliche Kommune“, das Ingolstadt seit einem Jahr tragen darf, wirklich wert? Was bringt es im Verkehrsalltag den Menschen, die sich häufig oder sogar überwiegend umweltfreundlich auf zwei Rädern fortbewegen wollen? Wenn die Auszeichnung bisher auf Kritik stieß und gern belächelt wurde, konnte dies von der Stadtführung bequem als politisch motiviertes Störfeuer aus der Ökoecke abgetan werden. Das wird mit der Klage des – im Rechtsamt beschäftigten – Fahrradspezialisten Thomas Kirchhammer gegen die Planfeststellung des Schneller Weges nicht mehr so leicht sein. Denn die könnte, was auch immer für persönliche Motive dabei eine Rolle spielen, zum eigentlichen juristischen Härtetest für das „fahrradfreundliche“ Ingolstadt werden. Kläger Kirchhammer kommt zu dem Schluss: Diese Straße orientiert sich ausschließlich an den Interessen des Autoverkehrs und der Audi-Zulieferer, die vorgesehene Unterführung für Radler und Fußgänger ist zu schmal und gefährlich, der Radverkehr wird künftig nicht gefördert, sondern unattraktiver, und die Regierung von Oberbayern hätte diese Planung aus der „autogerechten Zeit der 60er- Jahre“ gar nicht erst absegnen dürfen. Sofern diese Fundamentalkritik nicht gleich an formellen Hürden scheitert, könnte sie die Münchner Verwaltungsrichter zwingen, den verkehrspolitisch etwas orientierungslosen Ingolstädtern einen zukunftsträchtigen, wenn auch vielleicht nicht schnelleren Weg in Richtung Schneller Weg zu weisen.