Ingolstadt
David macht Dampf im District Five

Trotz Downsyndroms absolviert der 15-Jährige ein Praktikum in einem Schanzer Café

03.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:33 Uhr

Vorbildliche Inklusion: David Yilmaz (links), der mit dem Downsyndrom auf die Welt kam, hat von Tobias Stehle (rechts), Inhaber des Cafés District Five, die Chance bekommen, ein zweitägiges Schnupperpraktikum zu absolvieren. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) David Yilmaz ist mit dem Gendefekt Trisomie 21 auf die Welt gekommen. Im Café District Five durfte der 15-Jährige am 1. und 3. März ein Praktikum machen. Die Praktikumssuche war für Davids Mutter eine Tortur. Und das in Zeiten, in denen Inklusion eigentlich kein Fremdwort mehr sein sollte.

Es ist Freitagnachmittag. Im Café District Five schlürfen die Gäste gemütlich ihre Cappuccini. Es riecht nach frischem Kaffee, immer wieder gurgelt die große Kaffeemaschine. Hinter der Theke steht der 15-jährige David Yilmaz, zusammen mit Ladenbesitzer Tobias Stehle. Es ist der zweite Tag von Davids Schnupperpraktikum, das er in dem Innenstadtcafé in der Donaustraße 2 absolviert.

Der 15-Jährige rührt gerade Milch für einen Cappuccino schaumig. Dazu hält er konzentriert die silberne Milchkanne unter das Aufschäumgerät, das kräftig dampft. Beim Einfüllen des Schaums braucht der Heranwachsende, der mit dem Downsyndrom auf die Welt kam, dann Unterstützung von seinem Chef. Vorsichtig hilft der Gastronom dabei, den Milchschaum auf die braune Espressoschicht zu gießen. Nach erfolgreicher Teamarbeit klatschen sich Stehle und David vertraut ab. Sieht so vorbildliche Inklusion aus?

Seit Jahren wird über Inklusion gesprochen, geschrieben und politisiert. 2009 verpflichtete sich Deutschland vor den Vereinten Nationen, Menschen mit Behinderung die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Und trotzdem musste Davids Mutter, Nesrin Yilmaz, seit Jahren für die Rechte ihres Sohnes kämpfen - zuerst in der Kinderkrippe, danach im Kindergarten und in der Schule. Und auch jetzt, wo sie David auf den Berufseinstieg vorbereiten will, hatte es die Ingolstädterin nicht leicht. Lange Zeit war, wie Yilmaz erzählt, kein Betrieb bereit, den Heranwachsenden als Praktikanten zu beschäftigen. David brauche, so Yilmaz, natürlich eine besondere Betreuung - trotzdem ist es für sie unverständlich, wieso die Suche nach einem Praktikumsplatz so schwierig war. Vor allem, weil David "körperlich fit und noch dazu ein lustiger Kerl ist, der eine positive Atmosphäre in einen Betrieb bringt", sagt Yilmaz. Eine verklärte Sicht einer liebenden Mutter? Wer dem Nachwuchskellner bei der Arbeit im Café zusieht, hat den Eindruck: Sein lebensfrohes Wesen und seine freundliche Art kommen bei den Gästen gut an. Auch bei Fabian Schlienz, der an einem Tisch sitzt und zum Nachmittagskaffee den Roman "Girl on the Train" liest. "Ich finde es absolut richtig, jemanden wie David hier im Café zu haben. Ich glaube, es ist für ihn eine super Erfahrung", sagt der 24-Jährige. Das bestätigt auch David selbst: "Ich habe viel Spaß beim Aufräumen und Kaffeemachen."

Der 15-Jährige besucht derzeit noch das Förderzentrum des Caritas-Zentrums St. Vinzenz. David könnte nach der Schule in einer Behindertenwerkstätte arbeiten. Dies ist aber für die engagierte Mutter keine Option: "Mein Kind war neun Jahre in St. Vinzenz, relativ abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. Ich will nicht, dass er in einer Werkstätte arbeitet. Das wäre wieder eine Form der Ausgrenzung aus der Gesellschaft." Für Menschen wie David gibt es aber nach dem Verlassen der Schule auch noch andere Alternativen, wie Simone Grabmann von der Agentur für Arbeit Ingolstadt erklärt: "Es gibt Maßnahmen speziell für Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, um den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen." Eine Maßnahme lautet "Übergang Förderschule-Beruf", wo Menschen mit geistiger Behinderung gezielt auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Ob für David in Zukunft diese Art von Berufsvorbereitung infrage kommt, müsste aber, so Grabmann, überprüft werden.

Dass Tobias Stehle David die Chance gibt, ein zweitägiges Schnupperpraktikum zu machen, ist für den Café-Betreiber "selbstverständlich". Er würde den Teenager am liebsten sofort für ein längeres Praktikum einstellen. Stehle kennt David von klein auf. Vor einigen Jahren machte der Inhaber des District Five eine Ausbildung im Klinikum-Café, das Yilmaz betreibt. Seitdem herrscht zwischen Stehle und dem Heranwachsenden ein inniges Verhältnis: "Ich kenne den David, seit er fünf ist. Er ist für mich wie ein kleiner Bruder." Während er das sagt, stapft David gerade vorsichtig die Treppe im Café hinauf, in den Händen hält er einen randvollen Cappuccino, den er stolz einem Gast überreicht.

Das Schnupperpraktikum ist ein erster Schritt in die richtige Richtung - doch Nesrin Yilmaz reicht das nicht. Ihr geht es um Grundsätzliches: "Ich möchte, dass sich die Gesellschaft für die Inklusion öffnet. Besonders wichtig ist mir, dass beim Thema Inklusion endlich alle an einem Strang ziehen - Eltern, Politiker, Schulen und Betriebe." Bis das so weit ist, muss Nesrin Yilmaz wohl abwarten - und Kaffee trinken.