Ingolstadt
Aus Schlechtem wird Gutes

05.12.2010 | Stand 03.12.2020, 3:23 Uhr

Klezmer, Jazz und mehr: Die Gruppe Klezmorim sorgte gestern beim Tag der Menschenrechte mit dem Themenschwerpunkt Nahostkonflikt für den richtigen Sound. Andi Arnold mit der Klarinette, Nirit Sommerfeld mit ihrer schönen Stimme. - Fotos: Strisch

Ingolstadt (DK) Warum lieben sich Israelis nicht auf der Straße? Weil sofort Berater kämen, um ihnen zu sagen, wie es richtig geht. Anders ausgedrückt: Jeder fühlt sich als Nahostexperte. Ein Witz zum ernsten Thema: Avraham Burg sprach gestern über den "ikonischen Konflikt".

Im Theaterfoyer war kein Platz mehr frei, und so saßen die Leute auch auf dem Boden, um Burgs Rede zu lauschen. Bedauerlich nur, dass es mit der Übersetzung haperte und der Referent die Dolmetscherin mehrmals berichtigen musste. Der Redefluss geriet ins Stocken, die brillante Rhetorik blieb auf der Strecke.

Für Avraham Burg – ehemaliger Knesset-Sprecher, Buchautor und in der Friedensbewegung Peace Now engagiert – hat die Welt keine Grenzen. Und die Konflikte in aller Welt gehen seiner Ansicht nach alle an, ebenso wie Menschenrechtsverletzungen. "Es geht immer um meine persönliche Verantwortung. Auch wenn in Deutschland Multikulti für gescheitert erklärt wird, reichen die Erdbebenstöße bis zu mir."

 

Burg vertritt die Ansicht, so wie die Israelis Ansprüche an die Welt stellten, hätten auch die Palästinenser Anspruch auf Gerechtigkeit und Wahrheit. Geholfen sei niemandem, wenn beide Seiten sich gegenseitig ihre Traumata von Vertreibung und Holocaust vorhielten. "Hier hilft keine politische Lösung – wir brauchen eine psycho-politische Lösung, denn es geht es um Ängste, Schmerzen, Wunden und Traurigkeit", so Burg. Wichtig sei ein gegenseitiges Respektieren der erlittenen Traumata.

Der Schlüssel zum Frieden liegt für Burg darin, dass aus Schlechtem Gutes geschaffen werden kann. Beispiel dafür ist das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen. "Wenn dieser Dialog klappt, dann lösen wir auch alle anderen bitteren, blutigen Konflikte." Auch jenen im Nahen und Mittleren Osten.

Zur Untermauerung erzählte Burg eine Familiengeschichte: Er sei einmal mit seinem Vater und seinem Sohn auf dem Weg in die Ferien gewesen, im Auto. Der Verkehr staute sich, und als die Nachrichten einen Bombenanschlag in Jerusalem meldeten, ging gar nichts mehr vorwärts. Der zehnjährige Sohn musste dringend aufs Klo und schimpfte: "Papa, das kommt nur von dir und deinen Palästinensern." Darauf erwidert der 80-jährige, in Dresden geborene Großvater: "Jingele, was zwischen uns und den Deutschen passiert ist, war viel, viel schlimmer. Wenn das wieder gut geworden ist, wirst du auch noch den Frieden im Land erleben."

Terror und religiöser Fundamentalismus stellen nach Auffassung von Burg heute die größte Bedrohung von Demokratie und Bürgerrechten dar. Er forderte daher ein Bündnis der guten Menschen, über alle Grenzen hinweg.

Organisiert wurde der Tag der Menschenrechte von Amnesty International in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Ingolstadt. Wieder beteiligten sich etliche andere Gruppen, darunter die Aleviten oder die Bahá’í (siehe Texte links). Ayfer Yildirim, Sprecherin der Ingolstädter Amnesty-Gruppe, rief die Besucher in ihrer Ansprache auf, Briefe gegen das Vergessen zu schreiben, um Verfolgten und zu Unrecht Inhaftierten zu helfen. "Diese Briefe sind eines unserer wirksamsten Instrumente und führen in der Häfte der Fälle zu Verbesserungen." Dank der Unterstützung des Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl sei im Fall des Patrick Okoroafor ein Teilerfolg erzielt worden, so Yildirim. Mit 14 Jahren zum Tode verurteilt, wurde der Nigerianer später zu lebenslanger Haft begnadigt, die wiederum auf zehn Jahre verkürzt wurde – allerdings ohne Anrechnung der bisherigen Gefangenschaft. Botschafter vieler Länder machen sich jetzt für eine Amnestie des 31-Jährigen stark.

Doch Yildirim hatte auch schlechte Nachrichten: Laut Zeitungsberichten treffen Kürzungen im Bundeshaushalt vor allem das Kinderhilfswerk Unicef. Außerdem werden die Mittel für Minenräumungen gekürzt. Kulturreferent Gabriel Engert warnte in seiner Ansprache, das Thema Menschenrechte habe Präsenz verloren und mahnte: "Unser Wohlstand basiert zum Teil darauf, dass Menschenrechte in anderen Ländern verletzt werden."