Ingolstadt
Auffangen in den schwersten Stunden

Palliativ- und Hospizversorgung in Ingolstadt gut aufgestellt – Was bringt das neue Gesetz?

20.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:31 Uhr

Einfach da sein: Das ist die Aufgabe ehrenamtlicher Hospizbegleiter wie Karin Kleber. Ehrenamtliche würden immer gesucht, sagt der Wettstettener Arzt Jens Böhm (kleines Foto). Er ist Vorsitzender des Ingolstädter Hospizvereins. Arch - fotos: Strisch,Ammer

Ingolstadt (DK) Der Bundestag hat vor wenigen Tagen das Hospiz- und Palliativgesetz beschlossen. Das hat auch Auswirkungen auf die Versorgung sterbenskranker Menschen in Ingolstadt, wie Jens Böhm bestätigt. Der Arzt aus Wettstetten ist Vorsitzender des Ingolstädter Hospizvereins. Ihn beschäftigen die Themen Tod und Sterben und was man tun kann, um die letzte Lebensphase so erträglich wie möglich zu machen, nicht nur an Tagen wie Totensonntag.

 

Herr Böhm, Wie wichtig ist Palliativ-, Hospizarbeit für Sie?

Jens Böhm: Es ist eines der wichtigsten Dinge, die ich in meinem ärztlichen Beruf sehe. Die Gesellschaft wird immer älter, die Krankheiten, die wir haben, sind häufig lange therapiert, aber am Ende final für die Menschen, die es betrifft. Es ist unser gesellschaftlicher Auftrag, dass diese Patienten und auch die Angehörigen aufgefangen werden. Dass die letzten Tage und Monate so lebenswert sind, dass man sie ertragen kann. Nicht nur für die, die gehen werden, sondern auch für die, die bleiben, die es aushalten müssen. Ich glaube, dass das eine der wichtigsten Aufgaben im Moment in einer älter werdenden Gesellschaft ist. Das können wir Hausärzte, die Allgemeinmedizin, nicht alleine leisten. Das können wir nur leisten, indem wir verschiedene Säulen in der Palliativ- und Hospizversorgung haben.

 

Es gibt in Ingolstadt drei solcher Säulen. Die Palliativstation am Klinikum, das stationäre Elisabeth-Hospiz und eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die SAPV. Was unterscheidet die Palliativ- von der Hospizversorgung?

Böhm: Man darf das eigentlich gar nicht trennen. Die Synonyme gehören zusammen. Palliativ heißt ummanteln und Hospiz ist dort, wo man aufgefangen, in einer Herberge aufgenommen wird. Die Palliativstation ist die Station, die in der Klinik Patienten versorgt, die Symptomatiken aufweisen, die auf einer normalen Station nicht zu handhaben sind. Dort werden Symptome, die schwierig zu behandeln sind, eingestellt. Schmerzen, Atemnot, Ängste, auch, das soziale Umfeld zu ordnen, gehört dazu. In der Palliativstation wird geschaut, wie kann ich die Patienten weiter versorgen. Kann ich sie nach Hause entlassen, mit der Begleitung der Ehrenamtlichen des Hospizvereins und vielleicht mit der spezialisierten, ambulanten Palliativversorgung. Was man gerne vergisst: Es gibt neben der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung auch die allgemeine ambulante Palliativversorgung. Die steht auch im Gesetz drin. Schon immer.

 

Wo ist der Unterschied?

Böhm: Bei der spezialisierten Palliativversorgung kommen hoch qualifizierte Krankenschwestern und -pfleger zum normalen Pflegedienst dazu. Die machen ärztlich angeleitet Therapien, sind aber auch unterstützend da. Sie haben den gleichen Auftrag wie eine Palliativstation. Klangtherapie, Physiotherapie, all das kann man über die SAPV organisieren. Parallel dazu kommt der ganz normale Pflegedienst. Der macht die Pflege, die allgemeine palliative Versorgung. Das könnte faktisch jeder Pflegedienst. Die haben in der Regel auch Palliativ-Care-Kräfte, also Krankenschwestern, die speziell ausgebildet sind. Bei der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung geht es um die komplizierteren Fälle. Darum, Schmerzen zu lindern. Das Leben in der Situation so symptomenarm zu gestalten, dass der, den es betrifft, damit zurechtkommt. Für uns ist es das Schönste, wenn wir ins Zimmer kommen und die Patienten sitzen friedlich da, atmen leicht, haben vielleicht sogar ein Lächeln und sagen: „Ich bin froh, dass ich hier bin. Es geht mir im Moment so, dass ich es aushalten kann.“

 

Wie hoch ist in Ingolstadt die Nachfrage nach Palliativversorgung?

Böhm: Die Nachfrage ist höher, als wir es stellenweise leisten können, besonders für den Hospizverein. Das Elisabeth-Hospiz ist da, wenn die SAPV, der Pflegedienst im häuslichen Umfeld, zu belastet ist und auch die Verwandten sagen, wir können das zu Hause nicht machen. Für diese Fälle gibt’s das Elisabeth-Hospiz. Es ist ähnlich strukturiert wie ein Krankenhaus. Grundsätzlich kann man hier die gleichen Therapien machen, nur, dass die Hausärzte im Hospiz therapeutisch eingreifen können. Der Patient behält also seinen Hausarzt. Und wir haben von unserer Seite noch einen oder mehrere Palliativmediziner im Hintergrund, die das Haus komplementär unterstützen. Das Hospiz ist nicht unbedingt eine Sterbestation. Es gibt auch Patienten, die wieder nach Hause gehen. Oder ins Pflegeheim.

 

Das ist aber eher die Seltenheit, oder?

Böhm: Es sind wenige. Aber es kommt vor. Wir versorgen hier nicht nur die Region 10. Wir kriegen Patienten aus allen Richtungen. Heute haben wir jemanden reinbekommen, der ist aus Nürnberg. Wir haben ja nur 18 Hospize in Bayern und 3000 Betten insgesamt, zehn davon bei uns.

 

Um zum neuen Gesetz zurückzukommen. Was bringt das konkret für die Hospizarbeit in Ingolstadt?

Böhm: An der Hospizarbeit generell wird sich nichts ändern. Weil letztendlich die Leute, die das machen, hoch engagiert sind und dafür Sorge getragen haben, dass wir im Vergleich zu anderen Städten wirklich gut aufgestellt sind. Nicht jede Stadt, nicht jeder Hospizverein hat ein Hospiz. Hospiz, Palliativstation, SAPV, das bedeutet schon was. Dahinter stehen über 600 Mitglieder eines Hospizvereins aus der Region. An der Arbeit an sich wird das Gesetz nichts ändern, aber bei der Finanzierung wird es ein bisschen was ändern. Das Elisabeth-Hospiz wird, wenn der Gesetzgeber das umsetzt, was er ins Gesetzblatt reingeschrieben hat, finanziell etwas besser gestellt sein als bisher. Bisher übernimmt 90 Prozent des Bettensatzes der Gesetzgeber, jetzt sind es dann 95 Prozent. Wir haben viele Kosten, die wir selbst finanzieren. Das sind etwa die Fahrtkosten, wenn die Ehrenamtlichen ins Hospiz, wenn sie auf die Palliativstation fahren. Allein das sind um die 14 000 Euro im Jahr. Und wir sind ja eigentlich ein ambulanter Hospizverein. Jeder Mensch, der im Pflegeheim ist, hat das gesetzlich verbriefte Recht der palliativlichen und hospizlichen Versorgung. Und das ist bis jetzt sehr stiefmütterlich behandelt worden.

 

In wiefern?

Böhm: Wir müssen die vielen Pflegeheime versorgen. Dort sterben Menschen genauso und möglicherweise viel allein gelassener als in der Palliativstation oder im Hospiz. Das hat der Gesetzgeber erkannt. Um mehr in Heime gehen zu können, müssen wir die finanziellen Möglichkeiten haben. Wir müssen die Ausbildung irgendwie refinanzieren. Jeder, der als Ehrenamtlicher den Hospizverein begleitet, hat eine qualifizierte Ausbildung mit Abschluss. Wir bilden auch selbst aus in Ingolstadt. Wir haben immer Kurse. Und wir suchen junge Leute, die sich für so ein Amt begeistern können.

 

Wie schwer ist es, Ehrenamtliche für diese Aufgabe zu finden?

Böhm: Wir haben einen Altersdurchschnitt von 58 Jahren im Verein. Da können Sie sich ausrechnen, dass wir eigentlich schon jetzt an dem Punkt sind, wo wir uns wünschen, junge Leute nachzukriegen. Es ist nicht so, dass die in Scharen kommen.

 

Was muss ein Ehrenamtlicher mitbringen, um diese doch sehr belastende Arbeit machen zu können?

Böhm: Man braucht eine gesunde Einstellung, Menschen zu helfen oder einer Sache zu helfen. Man muss nicht unbedingt am Sterbebett stehen, wenn einen das zu sehr belastet. Es gibt so viele andere Arbeiten im Verein. Organisatorische Aufgaben. Zu tun gibt’s immer was. Wir finden aber auch immer wieder Leute, die direkt an die Patienten oder Gäste, wie wir eigentlich sagen, rangehen. Die auch mit den Angehörigen sprechen, in die Trauercafés gehen. Wir begleiten ja nicht nur die Sterbenden, wir begleiten auch die Angehörigen.