Ingolstadt
Pfiffe gegen das Management

Betriebsversammlung der Audi-Dauernachtschicht: Werkleiter verlangt Flexibilität

13.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:11 Uhr

Auch die Produktion des Q2 im Ingolstädter Audi-Werk (hier Werkleiter Albert Mayer, rechts, bei der Qualitätskontrolle) wird wohl den Verlust des Q5, der Richtung Mexiko abwandert, nicht aufwiegen können. Auch deswegen plant das Management, die Nachtschicht der Produktionslinie B zu streichen. ‹ŒArch - foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Der Vorstand ließ sich komplett entschuldigen - in den Augen der Belegschaft hat er gekniffen: Werkleiter Albert Mayer musste gestern früh bei der Betriebsversammlung der Audi-Dauernachtschicht stellvertretend für die Konzernleitung deren Pläne für die Streichung der Nachtschicht auf der Produktionslinie B verteidigen - unter Pfiffen.

 

In der vergangenen Woche hatte Vorstandschef Rupert Stadler noch selber vor Mitarbeitern der Tagschichten erklärt, warum die Unternehmensleitung die Dauernachtschicht auf der weniger ausgelasteten B-Linie (klassisches Pkw-Segment mit dem vormaligen Bestseller A4) infrage gestellt hat. Bei der Betriebsversammlung für die Hauptbetroffenen blieben gestern am frühen Morgen die Vorstandsstühle leer. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Peter Mosch erklärte bei Versammlungsbeginn um 4.30 Uhr nur knapp, dass sich die Herren entschuldigen ließen. Die Enttäuschung bei den Werkern war unüberhörbar. Es fehle den Bossen wohl der Mut, den von ihren Plänen betroffenen Leuten ins Gesicht zu sehen, mutmaßte ein Beschäftigter bei der späteren Aussprache. Breiter Applaus war ihm sicher. Bei Audi hieß es dazu später auf Anfrage nur, dass traditionell bei Betriebsversammlungen der Nachtschicht der Werkleiter und der Personalleiter im jährlichen Wechsel durch die Versammlung führten. "Dazu kommt, dass die Verhandlungen erst in Kürze beginnen", sagte eine Sprecherin.

Durchweg war bei der Versammlung vor den Nachtschichtlern von "rauen Zeiten" bei Audi die Rede. Jörg Schlagbauer, oberster IG-Metall-Vertreter im Ingolstädter Werk, bedauerte die zeitigen Presseveröffentlichungen über die Streichungspläne und warf den Informanten vor, die Belegschaft verunsichert und das Unternehmen geschädigt zu haben. Ähnlich drückte sich auch der 2. Bevollmächtigte der Ingolstädter IG Metall, Bernhard Stiedl, aus. Er vermutete die Informationsgeber in Managementkreisen.

Beide IGM-Sprecher kündigten harten Widerstand der Gewerkschaft gegen die geforderten Einschnitte bei der B-Linie an. Zugleich wurde eine Ausweitung der vom Konzern bislang bis 2018 gegebenen Beschäftigungsgarantie auf die Jahre danach gefordert. Jörg Schlagbauer rief die Unternehmensleitung außerdem dazu auf, einen Masterplan für die drängenden Zukunftsherausforderungen beim Autobauer vorzulegen. Die Belegschaft wolle wissen, wie es bei Digitalisierung, Automatisierung und Elektromobilität weitergehe.

Schlagbauer und später auch Gesamtbetriebsratschef Mosch (ebenfalls IGM) kreideten dem Vorstand an, auf Vorschläge der Arbeitnehmervertretung zur Flexibilisierung der Ingolstädter Produktionslinien seit Jahren nicht reagiert zu haben. Hier seien klare Managementfehler gemacht worden. Werkleiter Albert Mayer, der die Unternehmensleitung vertrat, hielt dem entgegen, dass die geänderten Absatzbedingungen auf Teilen des Weltmarktes, die heuer besonders intensiv durchschlügen, so nicht absehbar gewesen seien.

Mayer nannte als Grundproblem der Ingolstädter Autobauer die unterschiedliche Nachfragesituation im klassischen Pkw-Segment (teils rückläufig) und im SUV-Bereich (gestiegen). Obwohl der im heimischen Werk gebaute A4 in seinem Umfeld Marktführer sei, gingen dessen Absatzzahlen insgesamt zurück, worauf jetzt einfach zügig reagiert werden müsse. Mayer wiederholte unter den Pfiffen der Mitarbeiter die Absichtserklärung des Vorstands, die Dauernachtschicht auf der B-Linie zum Jahresbeginn 2017 einzustellen. Es gehe um einen flexibleren Einsatz der Kräfte, nicht um Entlassungen. Am Standort Ingolstadt müsse niemand um seinen Arbeitsplatz fürchten. Vielmehr würden künftig in der Nachtschicht der A-Linie wahrscheinlich sogar mehr Mitarbeiter gebraucht.

Mayer rief in Erinnerung, dass in jüngerer Zeit am hiesigen Standort hohe Investitionen in neue Anlagen und Fertigungshallen (unter anderem Lackiererei, Halle B an der Ettinger Straße) vorgenommen wurden, die in der Summe etwa dem entsprächen, was das neue Audi-Werk in Mexiko gekostet habe. Hohen Produktions- und Personalkosten stünden trotz höherer Verkaufszahlen aber sinkende Erlöse in gewissen Absatzmärkten gegenüber - sicher auch infolge des VW-Abgasskandals.

Audi müsse deshalb jetzt und nicht später reagieren, um seine Kostenstruktur und die Volumenprobleme im Ingolstädter Werk in den Griff zu bekommen. Mayer: "Wir müssen die Schichtsysteme unserer Werke überprüfen." Einzelne Schichten nur über Minusstunden zurückzufahren, reiche aus Unternehmenssicht nicht aus. Der Werkleiter sagte es den Nachtschichtlern deutlich: "Es wird unter anderem auch Ihre Flexibilität und Mobilität notwendig sein."

In der Aussprache klang in den Wortmeldungen der Belegschaftsmitglieder immer wieder die Sorge an, dass der Abzug des Modells Q5 aus Ingolstadt im neuen Jahr (wird fortan in Mexiko gebaut) durch die Produktionsaufnahme des kleineren Q2 stückzahlmäßig nicht ausgeglichen werden könnte. Auch die aus Sicht der Belegschaft nur schleppende Aufklärung der Audi betreffenden Umstände der VW-Abgasaffäre wurde mehrfach unter starkem Beifall kritisiert. Die Versammlung in der Betriebskantine war außerordentlich gut besucht. Wegen des absehbar großen Andrangs war sie auch per Videoprojektion ins benachbarte Gebäude "Markt und Kunde" übertragen worden, wo sich Hunderte weitere Mitarbeiter versammelt hatten.