"Ich fand die Diskussion schon ein wenig lächerlich"

31.07.2009 | Stand 03.12.2020, 4:46 Uhr

Die Unsicherheit an den Schulen ist längst Routine gewichen: Edith Philipp-Rasch, Sebastian Schuller und Ulrike Arens (von rechts) haben mit der Reform insgesamt gute Erfahrungen gemacht. - Foto: Rössle

Ingolstadt (sic) In den Schulen gehören die neuen Rechtschreibregeln längst zum Alltag. Wie gelang die Umsetzung der Reform? Hat sich das Lernverhalten der Kinder geändert? Darüber unterhalten sich Edith Philipp-Rasch, Germanistin und Direktorin des Reuchlin-Gymnasiums Ingolstadt, die Grundschullehrerin Ulrike Arens und der Schüler Sebastian Schuller, mehrfacher Preisträger bei Wettbewerben für junge Autoren.

Mal ehrlich: Wer von Ihnen schreibt privat noch nach den alten Regeln?

Edith Philipp-Rasch: Ich gestehe: In privaten Mails schreibe ich – noch reformerischer – alles konsequent klein.

Ulrike Arens: Ich schreibe in Briefen die persönliche Anrede klein. Ich habe aber immer den Verdacht, dass die Leute dann denken: ,Kann sie’s nicht oder will sie’s nicht’ Aber das behalte ich jetzt dennoch bei.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als sie zum ersten Mal den reformierten Duden gesehen haben?

Philipp-Rasch: Vor allem die Probleme, die mit der Korrektur auf einen zukommen. In der Schule konnte man ja nicht mehr nur richtig und falsch anstreichen, sondern es waren nur noch bestimmte Dinge falsch und andere veraltet, die man eigens markieren musste. Das war ein zusätzlicher Aufwand.

Sebastian Schuller: Als die neuen Regeln veröffentlicht wurden, war ich in der ersten Klasse. Da habe ich noch nicht so oft in den Duden geschaut. Als bekennender Althumanist muss ich aber sagen, dass mir einfach das Herz blutet, wenn ich sehe, dass man wunderbare griechische Wörter wie Phantasie mit "F" schreiben darf.

Arens: Ich habe das rausgenommen, was für den Grundschulunterricht relevant war. Und dann habe ich es generell zum Anlass genommen, wieder in den Duden zu schauen.

Wie groß ist Ihr Befremden, wenn Sie einen Text lesen, der den alten Regeln folgt?

Schuller: Wenn man einfach drüber liest, bemerkt man den Unterschied kaum. Vieles fällt mir erst auf, wenn ich den Text ganz genau durchgehe.

Sie waren bis 2005 Fachreferentin des Ministerialbeauftragten in Niederbayern für Deutsch und damit direkt mit der Umsetzung der Reform befasst. Wie renitent reagierten die Lehrer auf die Regeln?

Philipp-Rasch: Es gab nur wenige Ausnahmen, die gesagt haben: ,Ich lass’ mir nicht vorschreiben, wie ich schreibe!" – aber Lehrer sind Beamte, und da müssen sie es sich vorschreiben lassen. Aber im Dienstlichen war es nie ein großes Thema, auch wenn anfangs viel darüber geschimpft worden ist.

Wie laut wurde damals bei Ihnen im Lehrerzimmer Widerstand erwogen?

Arens: Ich erinnere mich an den Aufschrei, der wegen der Bücher durch die Reihen ging, die neu bestellt werden mussten. Manchmal wurden Zeugnisse zurückgegeben, weil einige Kollegen etwa "selbstständig" nach den alten Regeln mit einem "st" geschrieben haben. Richtig laut ist es aber dann geworden, als es hieß, dass alles vielleicht wieder eingetütet und zurückgezogen wird.

Welche Erinnerungen haben Sie an den heftigen Streit um die Rechtschreibreform?

Schuller: Ich erinnere mich daran, dass in die Rechtschreibung generell eine große Unsicherheit gekommen ist – und zwar bei ganz vielen in meiner Generation, die irgendwann sogar bei einfachen Sachen gefragt haben: ,Wie muss ich das schreiben’ Durch die Diskussion ist das noch verstärkt worden. Hinzu kam bei uns in der Grundschule eine zum Teil schlechte Rechtschreibausbildung. Allgemein fand ich diese Diskussion schon ein wenig lächerlich. Ich halte es für ziemlichen Unsinn, dass man Vokabular aus dem Krieg wie "Reformfrieden" für politisch-ideologische Ziele einsetzt, ja missbraucht. Schlussendlich: Es ist nur Rechtschreibung.

Was hat sich im Lernverhalten der Grundschulkinder seit der Reform verändert?

Arens: Die Reform ist im Unterrichtsalltag wegen all dem, was sich damals bei uns sonst noch erneuert hat, ein bisschen untergegangen. Da waren der neue Lehrplan, die neue Schreibschrift, der Grundwortschatz wurde auch geändert. Es ist mir von Anfang an leicht gefallen, die doch recht einfachen Regeln der Reform den Kindern plausibel zu machen, etwa die Doppel-S-Regel.

Welche Unterschiede haben Sie beobachtet?

Philipp-Rasch: Es gibt eindeutig einen Punkt, der Vorteile gebracht hat: die Kommasetzung. Das war ein Feld, das früher für viele nicht leicht zu beackern war. Da haben manche ihre Kommata nach dem Gießkannenprinzip verteilt oder reformerisch-radikal ganz weggelassen. Durch die Neuregelung hat sich etliches erledigt.

Welche Teile der Reform haben die Konfusion gefördert?

Philipp-Rasch: Dieses Hin und Her. Man hat die meisten neuen Regeln wirklich gut erklären können. Aber mit dem halben Rückwärtsgang war die Konfusion komplett.

Arens: Das mit der Konfusion kann ich unterstreichen. Wir haben viele neue Arbeitsblätter einstampfen müssen.

Gegner behaupten, die Reform habe dem Ansehen der deutschen Sprache und Literatur geschadet. Stimmt das?

Schuller: Sprache ist nicht nur auf die Rechtschreibung beschränkt. Die Bedeutung der Sprache steckt im Wort. Wenn ich ein Wort anders schreibe, ändert sich nicht die Bedeutung. Daher hängt das Ansehen der deutschen Literatur nicht von der Orthografie ab, sondern von dem, was die Schriftsteller mit der Sprache machen. Und da stehen wir nach wie vor weltweit nicht schlecht da.