Ingolstadt
Klare Worte auf beiden Seiten

Tödliche Schlägerei: Staatsanwältin und Verteidiger liegen in ihren Plädoyers weit auseinander

22.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:22 Uhr

Ingolstadt (DK) Das Ende rückt in Sicht, da geht der Verteidiger nochmal in die Vollen. Und verschiebt damit - wenn er durchkommt - den Abschluss der Verhandlung wegen Körperverletzung mit Todesfolge um einige Wochen. Klaus Wittmann (Levelingstraße) eröffnet den achten Verhandlungstag mit zwei Beweisanträgen.

Erstens: Die Große Strafkammer soll einen weiteren medizinischen Sachverständigen vernehmen, einen Neurologen aus Hamburg. Der werde bekunden, dass die tödliche Hirnblutung des 27-Jährigen, der in der Nacht zum 11. Juni 2016 vor der Bar Touch Down bei der Schlägerei getroffen zu Boden ging, sehr wohl vom Einfluss synthetischer Drogen ausgelöst worden sein könnte. Der medizinische Gutachter, Prof. Randolph Penning, schließt das aus. Er ist davon überzeugt, dass ein Faustschlag des Angeklagten in das Gesicht des Opfers in Kombination mit dessen kollapsartigem Sturz auf den Kopf die inoperable Blutung bewirkt hat.

Wittmanns zweiter Antrag: Ein Bekannter des Angeklagten, der als Zeuge ausgesagt hat, die Schläge gesehen zu haben, sei höchst unglaubwürdig. Der junge Mann leide an einer diagnostizierten Psychose. Zudem befinde er sich wegen des Vorwurfs des Drogenhandels in U-Haft. Er habe ein "Falschbelastungsmotiv", so Wittmann, da ihm "eine erhebliche Freiheitsstrafe droht". Es sei "zu untersuchen, ob der Zeuge meint, sich durch eine Belastung des Angeklagten Vorteile im eigenen Verfahren zu verschaffen, auch wenn diese objektiv nicht dem Zeugen versprochen worden sein könnten".

An der Stelle überprüfen alle Verfahrensbeteiligten aber erst mal ihre Terminkalender, denn sollte Wittmanns Vorstoß erfolgreich sein, wird sich das Verfahren noch hinziehen. Die Entscheidung (oder das Urteil) fällt am nächsten Mittwoch, 14 Uhr.

Jochen Bösl, der Vorsitzende Richter, merkt an, dass der Verteidiger seinem Mandanten damit vielleicht keinen Gefallen tue, weil im Raum stehe, dass er nach einer Verurteilung sofort in eine Entzugsklinik wechseln könnte (Anordnung der Unterbringung). Der Landgerichtsvizepräsident legt sich aber natürlich "nicht schon jetzt fest". Bösl schließt die Beweisaufnahme. Jetzt wird plädiert.

Staatsanwältin Sandra von Dahl rekonstruiert den Verlauf jenes von viel Alkohol und Aggressivität getrübten 10. Juni 2016 bis zum dramatischen Duell. Trotz einiger Erinnerungslücken von Zeugen "haben wir den Kern des Ablaufs deutlich und übereinstimmend gehört". Was geschah, bestätigten auch unbeteiligte Zeugen, etwa die Studenten an den Fenstern. Die "Provokationen" seien vom späteren Opfer ausgegangen, betont von Dahl. Der Angeklagte habe "die Eskalation nicht forciert". Es sei aber auch "eindeutig nachgewiesen worden, dass es zu einer Verabredung zur Schlägerei gekommen ist", um den Streit wegen einer Frau (das Opfer war ihr Verlobter, der Angeklagte ihr Ex) Auge in Auge zu klären. "Und dass das keine Diskussionsrunde wird, war Ihnen doch klar! ", sagt die Staatsanwältin, den Angeklagten ihr gegenüber fest im Blick.

Sandra von Dahl geht von Körperverletzung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall aus. "Es war kein Totschlag und auch keine Notwehrsituation. " Wirklich schwer wiege für sie, dass der Angeklagte am 2. August 2018, kurz nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft, einer Bekannten in der Proviantstraße im Streit die Nase gebrochen habe (was dieser zugibt). "Dafür fehlt mir jedes Verständnis! " Sie fordert eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten.

Die Nebenklagevertreterin der Familie des Verstorbenen, Anwältin Elke Meßmer, fasst sich bei ihrem Plädoyer kurz: "Ich schließe mich den detaillierten Ausführungen der Frau Staatsanwältin voll umfänglich an. " Verteidiger Wittmann fordert, dass die Zeugenaussagen differenzierter betrachtet werden müssen. Die Zeugen seien zum Tatzeitpunkt betrunken oder unwillig gewesen, mit der Polizei zu kooperieren. "Keiner soll da gewesen sein und keiner soll etwas gesehen haben. " Weiter verkündet er: "Die Lügen, die hier im Gerichtssaal aufgetischt wurden, sind fernsehreif. " Wittmann äußert die Theorie, dass sich die Bekannten weiterhin an ihrem Stammplatz, dem Viktualienmarkt, getroffen und die Geschichte dieses Abends besprochen hätten. Viele Zeugen hätten in ihren Aussagen ihnen zugetragene Erzählungen wiedergegeben.

"Das Gericht macht es sich wesentlich zu einfach", ist sich der Strafverteidiger sicher. Er weist darauf hin, dass es in der Nacht weitere Auseinandersetzungen in der Partygruppe gegeben habe, auf die das Gericht nicht eingegangen sei. Nur zwei Zeugen hätten die Schläge überhaupt gesehen. Wittmann bezeichnet die Frau, um die sich der Streit der Männer drehte, als "intrigant". Sie hätte den Streit der zwei befeuert, lüge "gnadenlos" und habe eine Reihe von Falschaussagen gemacht. Wittmann bleibt bei der Aussage, dass der erste Schlag von dem später Verstorbenen ausging, räumt aber ein, dass sein Mandant statt nur ein Mal, ein zweites Mal mit weniger Kraft zugeschlagen hätte. "Das war Notwehr. " Klaus Wittmann plädiert darauf, dass sein Mandat vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen wird. Für die gebrochene Nase der Frau im August 2018 fordert er eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Das letzte Wort hat der Angeklagte: "Wenn ich es hätte anders machen können, hätte ich mich anders entschieden. " Ihm sei klar, dass er eine Therapie brauche - "um mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. "