Auge
Angedacht

17.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:38 Uhr

Auge um Auge, Zahn um Zahn!" Dieses bekannte Wort kommt in der katholischen Leseordnung bei den Sonntagsgottesdiensten dieses Wochenende dran.

Bekannt und beliebt ist dieser Ausspruch immer dann, wenn jemand die Moral eines anderen schlechtmachen will: "Da geht es ja zu wie im Alten Testament - Auge um Auge, Zahn um Zahn!", so wird dann geschimpft.

Dabei ist das, was wir im Alten Testament finden, ja selbst ein Zitat. Schon 1740 vor Christus wird im Gesetz des Königs Hammurapi von Babylon ein gerichtlicher Schadensersatz so geregelt. Das war ein Fortschritt - vorher galt die Blutrache, und die war um einiges brutaler.

Während Hammurapi aber noch sauber unterschied zwischen Sklaven und Freien (die kosten mehr), ist im Alten Testament festgesetzt, dass jeder Mensch gleich viel gilt, ob Mann oder Frau, ob reich oder arm, ob Bürger oder Fremder.

So wird dann im Buch Exodus (21, 23 f.) festgelegt: Ist Schaden entstanden, dann musst du geben: Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, ( . . . ) Strieme für Strieme. Klingt das immer noch brutal?

Ich wünsche mir im Gegenteil, wir Menschen wären heutzutage wenigstens so weit wie das Alte Testament! Wie oft erleben wir mit, dass bei einer Beleidigung oder einem Schaden nicht nur Genugtuung gefordert, sondern dabei auch noch eins draufgesetzt wird? Wenn ich schon geschädigt bin, dann muss ich für mich möglichst viel herausholen - so heißt es doch.

Und dass jeder Mensch gleich viel wert ist, scheint auch oft nur ein schöner Traum. Die Großen bedienen sich, die Kleinen können sehen, wo sie bleiben.

Schön wäre es, wenn es bei uns zuginge wie im Alten Testament: Auge für Auge, Zahn für Zahn - oder noch besser: Freundlichkeit für Freundlichkeit, auch und gerade Schwächeren und Fremden gegenüber.

Erich Schredl,

Pfarrer in St. Augustin,

Ingolstadt