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Die Sportidee als Botschafterin der Mäßigung

23.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr

An dieser Stelle war schon von Vorbildern die Rede: Eric Frenzel und Claudia Pechstein als Repräsentanten einer individuellen Haltung, die Menschen zu Athleten macht. Gerade die sporttypische Haltung jedoch schließt aus, Sportler als Vorbilder für das außersportliche Leben zu empfehlen.

Die exklusive, totale Leistungs- und Wettbewerbsorientierung des Sports wäre, auf das Alltagsleben von jedermann übertragen, geradezu unmenschlich und ist dort zu Recht verpönt. Außer bei Lobrednern der Marktwirtschaft. Sie vermuten in der exzessiven Betonung des Wettbewerbsgedankens eine Schulung auch für die Wirtschaft, verkaufen daher sportlichen und wirtschaftlichen Wettbewerb gern als Zwillinge.

Und doch: Zwar nicht dieses individuelle Handlungsmuster, aber der allgemeine Sportsinn ist geeignet, dem gesellschaftlichen Leben eine wichtige Orientierung zu geben. Wenn auch anders, als die Ideologie des absoluten Leistungsdenkens vermuten lässt. Beim Sport geht es nämlich, entgegen des Spruchs vom "höher, schneller, weiter", keineswegs um unbegrenzte Steigerung. Es geht um Leistung innerhalb klar definierter Grenzen. Diese Grenzen liegen in der psychophysischen Leistungsfähigkeit einzelner Menschen sowie in weiteren, durch Regeln festgelegten Beschränkungen, ja künstlichen Behinderungen (zum Beispiel im Fußball nicht die geschickte Hand einzusetzen). Solche Grenzziehungen sind der Grund, warum Doping keine lässliche Sünde innerhalb des Sports ist wie eine "normale" Regelverletzung, sondern die Sphäre des Sports gänzlich verlässt.

Diese Grenzsetzungen bewirken, dass selbst dem Spitzensport, trotz der dort erbrachten und für den "Normalmenschen" unvorstellbaren Leistungen, die Leitrolle eines Abbildes oder Vorbildes für das dem Menschen Mögliche zukommen kann. Und damit auch für die Grenzen dessen, was dem Menschen nicht möglich, zumindest nicht zuträglich ist. Sport, so gesehen, bietet damit ein Modell der Mäßigung, der menschengerechten Zurückhaltung gegenüber hybriden Versuchungen und Verheißungen eines vermeintlich möglichen unendlichen, zum Beispiel technisch-ökonomischen Wachstums.

Die Sportidee bildet damit die objektive Lage des Menschen auf diesem zwar faszinierend reichen und lebensfreundlichen, aber gleichwohl eben doch begrenzten Planeten ab. Und zwar viel überzeugender, als es Ansätze in anderen Lebensbereichen auszudrücken vermögen. Man denke dabei insbesondere an die - zudem in rasanter Beschleunigung - immer weiter hinausgeschobenen Grenzen im wissenschaftlich-technischen Vordringen in das mensch-liche Genom. Man denke auch an die krakenartig scheinbar ins Grenzenlose expandierende Finanzindustrie, welche die gesamte Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen droht. Man denke zum dritten an das scheinbar nicht zu bremsende Versagen vor der Forderung nach einem ökologisch nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

In diesen Feldern versuchen Ethikräte, Memoranden, Kommissionen zur Technologiefolgen-Abschätzung, Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkung und Ähnliches notdürftig und letztlich bislang vergeblich, die freigesetzten, letztlich destruktiven Energien zu bändigen. Die Sportidee vermag hier ein Zeichen für die Suche nach menschengerechten Grenzziehungen zu setzen. Zumindest bedeutet sie das Offenhalten einer Nische, einer Oase der Mäßigung und der Entschleunigung innerhalb des scheinbar unaufhaltsam rasenden allgemeinen Fortschritts.

Sven Güldenpfennig war Professor für Sport- und Kulturwissenschaft in Berlin und Hamburg sowie wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Olympischen Instituts. Güldenpfennig lebt jetzt im Ruhestand in Vohburg und kommentiert für den DONAUKURIER die Olympischen Winterspiele in Südkorea.