Zell
Die vielen Gesichter der Kunst

ZellKultur hat sich als Marke der Behinderteneinrichtung Regens Wagner etabliert

28.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:45 Uhr

Kultur von Gehörlosen: Die Zeller Handtheatergruppe trat bei Hands up in der Rother Kulturfabrik auf. - Foto: Pößnicker

Zell (HK) Kunst und Kultur gehören zum festen Bestandteil im Leben der Behinderteneinrichtung Regens Wagner in Zell. Für die gehörlosen Bewohner ist die Kunst viel mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung, sie ist Mittel, sich auszudrücken und sie baut Brücken.

Bei den Workshops, die Regens Wagner seinen Bewohnern anbietet, kann der eigene Körper zur Schablone werden. Die Künstler legen sich auf riesige Stoffbahnen, malen ihre Konturen nach und füllen sie mit Farbe: gelb, blau, rot mit schwarzen Punkten und kühnen Strichen. Immer wieder tauchen die Maler ihre Pinsel in die zähe Farbe und bessern nach. Noch mehr blau oder doch lieber weiße Akzente?

Im Atelier von Regens Wagner geht es hoch her. Die bunten Stoffbahnen liegen quer über dem Boden, an der Wand hängen Kunstwerke für den letzten Schliff oder zum Trocknen. „Das ist eine spannende Möglichkeit, sich auszudrücken“, sagt die Kunstpädagogin Claudia Pößnicker. „Hier spielt Behinderung keine Rolle.“

Für die Workshops müssen die Bewohner von Regens Wagner Zell sogar Urlaub nehmen. „Das ist schließlich keine Bastelstunde, sondern eine Bildungsmaßnahme“, betont Pößnicker. „Das ist so, wie wenn wir einen Volkshochschulkurs besuchen.“ Die Teilnehmer müssten auch nicht unbedingt künstlerisches Talent mitbringen, „man sollte sich einfach ein Stück trauen und muss kein Talent im herkömmlichen Sinn haben“, ist Peter Webert überzeugt. Der Kunsttherapeut von Regens Wagner in Absberg ist mit seinen Senioren zum Workshop nach Zell gekommen. Dieses Mal hat er Inge Bauer mitgebracht. Die fröhliche Seniorin streicht tiefschwarze Paste auf eine Collage mit Fotos in Schwarz-Weiß, die sie selbst abbilden. „Das Leben zwischen schwarz und weiß“ war das vorgegebene Thema. Jeder Workshopteilnehmer hat Fotos von sich mitgebracht, die in die Collagen eingearbeitet werden. Heraus kommen sehr persönliche Werke. Und noch offensichtlicher ist die Freude, die die Menschen mit Behinderung bei ihrer künstlerischen Arbeit haben. Inge Bauer jedenfalls strahlt über das ganze Gesicht und die Frage danach, ob es ihr Spaß mache, beantwortet sie mit einem langgezogenen „Jaaa“.

„Für das Selbstbewusstsein ist das etwas ganz Wichtiges, es spricht den Menschen ganzheitlich an“, erklärt Claudia Pößnicker. So könnten die Hörgeschädigten auch Gefühle äußern, die allein mit Gebärden schwer zu beschreiben seien. Die besten Bilder und Skulpturen zeigt Regens Wagner Zell bei Ausstellungen. „Das hebt das Selbstbewusstsein“, zeigt sich Pößnicker überzeugt.

In der Behinderteneinrichtung in Zell verfolgt einen die Kunst auf Schritt und Tritt. An den Wänden in den langen Gängen hängen Fotos und Gemälde, es stehen Skulpturen herum. Im Garten zeugen Holzobjekte von früheren Landartaktionen.

Der Begriff ZellKultur ist schon vor zwölf Jahren geprägt worden. Die frühere Leiterin Schwester Gerda hatte die Idee, Kunst zu etablieren: mit Theater, Malerei, Skulpturen und Landart. Zu den Aktionen lud die Behinderteneinrichtung auch renommierte Künstler aus der Region ein, zum Beispiel den Bildhauer Clemens Heinl oder die Malerin Andrea Frister. „Wir wollten die Kultur hörbehinderter Menschen in den Mittelpunkt stellen“, erinnert sich Schwester Gerda. „Wir sind Impulsgeber, Wegbegleiter, wir wollen nicht ausgrenzen, sondern Brücken bauen.“ Und zwar nicht nur in Zell, sondern auch außerhalb, wie zum Beispiel in der Hilpoltsteiner Residenz und der Rother Kulturfabrik. Es wurde damals sogar ein eigener Arbeitskreis gegründet, dem auch Monika Stanzel, Lehrerin im Förderzentrum, angehört. Die Kunst habe immer mehr Facetten bekommen: „Wir haben den Pausenhof mit einem Hundertwasser-Kunstwerk geschmückt, es gab Ausstellungen, Workshops, Handtheater, Schwarzlichttheater“, erzählt Stanzel.

Die Kunst in Zell hat viele Gesichter. Eines davon gehört dem hörbehinderten Mitarbeiter Marcus Willam (kleines Foto), der nicht nur in der Einrichtung als hervorragender Pantomime bekannt und beliebt ist, sondern auch durch seine Auftritte in der Rother Kulturfabrik. Dort wird es am Samstag, 14. November, die vierte Auflage von „Hands up“ geben, der Gehörlosenkultur für alle.

Beim Kindertheater mit purpurKultur aus Köln wird der „Kleine Prinz“ für die hörenden Besucher auch in Lautsprache übersetzt. Etwas, das sich der Hilpoltsteiner Marcus Willam auch für Veranstaltungen in seiner Heimatstadt wünscht: einen Gebärdendolmetscher. „Ich bin oft neidisch“, sagt er. „Alle lachen und ich verstehe nicht, warum.“

Der Pantomime sieht in der Kunst der Gehörlosen auch eine Art Öffentlichkeitsarbeit. „Wir wollen Vorurteile abbauen und Berührungsängste nehmen.“ Und wie könnte das besser funktionieren als über Kunst, die alle Sinne anspricht?