Thalmässing
Wellness statt Hitzestress

Milchviehhalter stellen sich auf Klimawandel ein Kolbenhof nimmt an bayernweitem Pilotprojekt teil

29.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:15 Uhr

Eine Dusche für die Kuh: Werner Wagner führt vor, wie gern sich seine Tiere bei Hitze im Außenbereich mit zerstäubtem Wasser abkühlen. Im Inneren des Stalles hat er ein Ventilatorensystem angebracht. - Foto: Leykamm

Thalmässing (HK) Dem Klimawandel mag der Mensch in unseren Breitengraden zumindest unter Freizeitaspekten noch etwas Positives abgewinnen könne. Doch im Gegensatz zu ihm fühlt sich die Kuh bei Sommertemperaturen von 25 Grad sehr unwohl - und gerät in Hitzestress.

Ein solcher Hitzestress bei Kühen soll in Bayern künftig vermieden werden. In ein entsprechendes Pilotprojekt hat sich vor einigen Wochen der Kolbenhof bei Thalmässing eingeklinkt - und hat bereits Erfolg.

Um zu sehen, wie es seinen Tieren geht, genügt dem Landwirt Werner Wagner ein Griff zum Smartphone. Auf Berührung spuckt es die Vergleichszahlen der jüngsten Zeit bezüglich der Inhaltsstoffe der Milch aus, darunter etwa den Eiweißgehalt. Der stieg teilweise signifikant an - ein sicherer Indikator dafür, dass die Kühe sich bereitwillig über das Futter hermachen und nicht aufgrund der Hitze das Fressen verweigern. Natürlich mache es auch ihm mehr Spaß, in dem Offenfrontstall zu arbeiten, wenn dort angenehme Temperaturen vorherrschten, so der Chef.

Seine Familie hat schon zu Beginn des Jahrhunderts eigentlich alles richtig gemacht, als man sich zum Bau eines Offenfrontstalls mit getrennten Funktionsbereichen entschloss, der dann 2003 fertig war. Heute wird er von circa 60 Milchkühen bevölkert. Fehlende Seitenwände sorgten hier für beste Luftzufuhr - so war es zumindest vorgesehen. Doch die klimatische Situation verschärfte sich, im Lauf der Jahre fiel Wagner ein "Eiweißloch" im Sommer auf.

Erklären kann das Johann Mederer, Leiter des Fachzentrums Rinderhaltung beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Roth. "Schon bei 20 Grad wird es der Kuh zu warm", weiß er. Ihr Energieverbrauch steigt, das Atmen fällt schwer. Und die Zahl der Tage, an denen dieser Wert überschritten wird, steige eben deutlich an. Was dem Tier buchstäblich den Appetit verderbe, was sich auch in der Milch niederschlage. Seitens der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) macht man schon geraume Zeit auf dieses Problem aufmerksam. Man will ihm mit einem Ventilatorensystem beikommen. Doch um ein solches in einer ausgeklügelten Form zu bekommen, braucht es erst Messungen im jeweiligen Stall. So initiierte der bayerische Landwirtschaftsminister Helmut Brunner ein Pilotprojekt, das solche Daten liefern soll.

Betreut wird es von Johannes Zahner, den nach dem Feststellen des Stalldefizits Wagner aufsuchte. Rechtzeitig zur jüngsten Hitzeperiode gelang es dann, die Ventilatoren im Stall zu installieren, die mittels Fühler digital gesteuert und abhängig von Luftfeuchtigkeit und Temperatur in Betrieb gesetzt werden. Die Form der Adlerschwingen sorgt für gedämpfte Lautstärke.

Nun also geht es ans Herausfinden, welche Anzahl von Ventilatoren in welcher Größe und Anordnung und in welchem Abstand für welchen Stall am besten sind. Nebelpatronen helfen, die Luftströme sichtbar zu machen. Eine möglichst gleichmäßige Verteilung der kühlen Luft soll erreicht werden. Ein Jahr führt man seitens des LfL nun wissenschaftliche Untersuchungen am Kolbenhof durch. Die Ergebnisse sollen dann anderen Interessenten zugutekommen. "Dann können wir gesicherte Beratungsaussagen treffen", sagt Mederer.

Das System soll dann auch einmal preisgünstiger werden. Für ihre Anlage mit derzeit vier Lüftern haben die Wagners 5000 Euro bezahlt, aber das "hat sich in einem halben Jahr amortisiert", rechnet Mederer vor. Denn neben der Verbesserung des Eiweißgehalts steige auch die Milchleistung an sich. Auch gibt es schöne Nebeneffekte: Mücken und Fliegen werden durch den kühlen Wind vertrieben. Das neue System sei für die Kühe "eine Riesenerleichterung", so der Experte. Denn die Hitze bringe auch Herzprobleme für die Tiere mit sich. Problem sei vor allem die sich häufende Zahl an Tagen mit Temperaturen über 30 Grad. "Da geht man dann gerne in den Stall", befürwortet das Ehepaar Werner und Anita Wagner auch fürs eigene Wohl die Kühlungsmethode.

Fürs Tierwohl ist auf dem Kolbenhof auch auf andere Art gesorgt: So werden die Kühe im Außenbereich etwa mit zerstäubtem Wasser berieselt, was an heißen Tagen ebenso erfrischt. Im Fressbereich gibt es Gummimatten und gleich zwei Abkalbeboxen ermöglichen stressfreies Gebären.

Vor kurzem haben hier übrigens zwei "Triesdorfer Tiger" - so der Name der alten und seltenen Rindersorte - das Licht der Welt erblickt. Die Zwillinge kamen just zu der Zeit, als auch das neue Lüftungssystem Einzug hielt. Tiefboxen mit Kalkstroh sorgen für Gelenkschonung und Gemütlichkeit, im vergangenen Jahr wurde die Kuhbürste erneuert und um eine Seitenbürste erweitert. Zum Trinken gibt es Fließendwasser. "Du musst den Kühen einfach etwas bieten", findet Werner Wagner.

Auf dem Kolbenhof sei "ein echter Wellnessstall" entstanden, lobt der leitende Landwirtschaftsdirektor Werner Wolf, der Chef des AELF. Das Tierwohl werde generell bei den Landwirten sehr groß geschrieben, auch im eigenen Interesse: "Wenn es den Tieren gut geht, dann geht es auch den Bauern gut." Und die müssen sich auch bezüglich der Ställe dem Klimawandel zum Wohle Aller anpassen, wie das Pilotprojekt zeigt.