Roth
Die Gehirngifte erkennen

Mit einer Lichterkette gedenkt Roth der Pogromnacht vor 75 Jahren – "Goethe schützt vor Goebbels nicht"

11.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:27 Uhr

Der SPD-Politiker Christian Nürnberger mahnt auf dem Rother Marktplatz, die Kinder auch vor den noch immer grassierenden „Ismen“ wie Nationalismus, Rassismus und Militarismus zu schützen. - Foto: Tschapka

Roth (HK) Eine Lichterkette gegen Fremdenfeindlichkeit hat die Stadt Roth auf dem Marktplatz zum Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938 organisiert. Zum 75. Mal jährte sich heuer das schreckliche Ereignis, bei dem in Deutschland Synagogen und jüdische Häuser sowie Geschäfte brannten.

Vor allem deshalb kamen diesmal mehr Menschen als sonst auf den Rother Marktplatz, der in der dunklen Nazizeit den Namen Adolf-Hitler-Platz trug. Und über dem in dieser Nacht ein Halbmond sein fahles Licht scheinen ließ, während am Boden zahlreiche Kerzen mit ihrem warmen Licht die Dunkelheit zu vertreiben versuchten.

Hauptredner war der SPD-Politiker und freie Autor Christian Nürnberger, der unter anderem das Buch „Mutige Menschen: Widerstand im Dritten Reich“ geschrieben hat und dafür mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 ausgezeichnet wurde. Er machte deutlich, dass man sich nicht allzu sicher sein dürfe, wie man angesichts der damaligen allgegenwärtigen Propaganda und der Indoktrination schon vom Kindesalter an selbst in der Nazidiktatur gehandelt hätte. Auch sein Vater sei kein Held gewesen, „aber wie könnte ich ihn dafür verurteilen, wenn ich selbst nicht weiß, was ich damals gemacht hätte“.

Das Land der Dichter und Denker sei gegen das „Gehirngift“ der Nazis nicht immun gewesen: „Auch Goethe schützt vor Goebbels nicht“, sagte Nürnberger in Anspielung auf den Propagandaminister des Dritten Reiches. Bedauerlich sei auch, dass der Generation seiner Eltern und Großeltern wenig an Erinnern und Aufklärung lag, „sie wollten nach dieser dunklen Epoche der Geschichte nach vorne blicken und das Land wieder aufbauen“. Leider gebe es auch heute noch viele „Ismen“ wie Nationalismus, Militarismus oder Rassismus. „Es ist an uns, auch heute solche Gehirngifte zu erkennen und zu zerstören und vor allem die Kinder vor solchen zu schützen“.

Landrat Herbert Eckstein freute sich, dass viele Menschen zum Gedenken auf den Marktplatz gekommen waren. „Das tut gut zu sehen“, sagte er. „In der Seele schmerzen“ würden ihn hingegen die Geschehnisse, die sich derzeit an den Küsten des Mittelmeers abspielen würden. Es gebe immer noch Gesetze, die zum Beispiel italienischen Fischern verbieten würden, Flüchtlinge in Seenot zu helfen. Ihnen drohe eine Anklage wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Zu diesem Missstand vermisse er einen Aufschrei in ganz Europa. „Es darf keine Gesetze geben, die Europäer daran hindern, Menschen vor dem Sterben zu bewahren“, sagte Eckstein. Er danke allen Menschen, die Flüchtlinge „mit Würde aufnehmen würden, so wie es jeder Mensch verdient“.

Die stellvertretende Rother Bürgermeisterin Elisabeth Bie-ber fand es bemerkenswert, dass sich auf dem Rother Marktplatz bereits seit 14 Jahren in Folge immer um diese Zeit engagierte Menschen einfinden würden, um an die Geschehnisse der Pogromnacht zu erinnern. Dies sei umso mehr vonnöten, weil es schon bald keine direkten Zeitzeugen mehr geben werde.

Der evangelische Pfarrer Karl Eberlein erinnerte daran, dass es in der Nacht des 11. November 1938 in Roth keinen Pogrom gegeben habe. Das liege aber nur daran, dass der damalige stellvertretende Bürgermeister schon 1936 Roth als judenfrei erklärt hat. „Wer nicht in die Vergangenheit schaut, sieht auch in der Gegenwart nicht klar“, gab Eberlein zu bedenken.

Nach diesen eher bedrückenden Reden sorgte die Nürnberger Formation Klezmaniaxx mit ihrer beschwingten, lebensbejahenden Klezmermusik für einen starken Kontrast in dieser dunklen, schicksalhaften Nacht deutscher Geschichte.