Laibstadt
"Es gibt keine Grenze, wenn es um Humanität geht"

Gastbeitrag von Professor Josef Wohlmuth über die Flüchtlingskrise Erinnerungen an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

12.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:13 Uhr

Professor Josef Wohlmuth. ‹ŒArch - foto: Kehrein

Laibstadt (HK) Seine Doktorarbeit schrieb er beim späteren Papst Benedikt und als Professor für Theologie wirkte er in Köln und Bonn. In einem Gastbeitrag für unsere Zeitung erklärt der gebürtige Laibstädter Josef Wohlmuth, warum es für ihn keine Alternative dazu gibt, Flüchtlinge aufzunehmen.

Mich beschäftigt die derzeitige politische Situation bezüglich der Flüchtlinge sehr, wie viele andere auch. Häufig taucht bei den Überlegungen die Frage auf: "Wo ist die Grenze" Sie betrifft natürlich auch die Kapazitätsgrenze, aber sie betrifft zuerst die Grenze beziehungsweise Nicht-Grenze als solche. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es keine Grenze gibt, wenn es um Humanität geht. Das Asylrecht ist um dieser grenzenlosen Humanität willen entworfen worden!

Nun erinnere ich mich natürlich noch sehr gut an die Ankunft der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich sehe noch einen Leiterwagen vor mir, der in unserem Hof ankam und von dem die Flüchtlinge mit ihrem Hab und Gut abstiegen, um dann in die verschiedenen Häuser in Laibstadt eingewiesen zu werden. Das musste organisiert werden. Es war bekannt, in welchen Häusern noch Platz sein könnte.

Eigentlich kam kein Haus infrage, denn überall wohnten ja bereits Familien, meist mit Kindern. Also mussten eben alle zusammenrücken und den begrenzten Wohnraum miteinander teilen. Auch im Pfarrhaus wurde einquartiert. Neben Wohnraum mussten das Essen, Feuermaterial und viele andere Dinge des täglichen Lebens geteilt werden. Nicht alle waren damit einverstanden. De facto dauerte es etwa gut zehn Jahre, bis das Dorf von den Zuwanderern wieder frei war, sofern sie sich nicht bereits auf Dauer angesiedelt oder eingeheiratet hatten. Klar war jedenfalls damals, dass die Menschen nicht auf der Straße gelassen werden konnten.

Natürlich ist die Situation mit der heutigen nicht zu vergleichen. Aber die Flüchtlinge von damals waren uns in Sprache und Gewohnheiten mindestens ebenso fremd wie heutige Flüchtlinge, mit denen wir es zu tun haben.

Natürlich ist allen klar, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland begrenzt sind. Der Weg, sie auf Zukunft hin wirklich zu begrenzen, ist schwieriger als wir wohl alle dachten. Dennoch glaube ich nach wie vor, dass die Entscheidung im vergangenen Sommer, die Grenzen vorübergehend zu öffnen, richtig war - rein aus humanitären Gründen. Die Aufarbeitung dieser Entscheidung muss nun folgen. Sie wird auch folgen. Aber sie braucht Zeit. Auch wenn alle Ankömmlinge, die nicht asylberechtigt sind, schnell abgeschoben wären, müssen wir für die anerkannten Flüchtlinge bezüglich ihrer Integration bestimmt noch einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren ansetzen. Auch das sollten alle wissen.

Nun hat unser Land neben der Flüchtlingskrise nach dem Krieg ja auch eine vorausgehende Erfahrung, dass nämlich viele vom Naziregime Verfolgte ins damalige Ausland flohen, nicht nur Juden, auch politisch Andersdenkende, die mit dem damaligen System nicht einverstanden waren. Da hätte damals manche Empfangskultur im Ausland größer sein können. Immerhin sind viele nach dem Krieg wieder unverletzt zurückgekehrt. Ich bin auch sicher, dass nicht halb Syrien in Deutschland bleiben möchte, wenn der Krieg zu Ende ist und eine echte Aufbauphase beginnt. Die jetzt versuchte Aufnahme der Asylanten muss deshalb auch eine Hilfestellung bieten, eines Tages als qualifizierte Arbeitskraft wieder in das eigene Land zurückzukehren. Bis dahin leisten wir gewissermaßen Entwicklungs- und Friedensarbeit anderer Art.

Nun bin ich ja selbst nicht sehr lange im Ausland gewesen. Aber hineinversetzen kann ich mich schon, was es bedeutet, die Heimat zu verlassen. Ich kann mir auch gut vorstellen, wie schwer es ist, wenn man im fremden Land nicht willkommen geheißen wird. In meinem zweiten Jerusalemer Jahr habe ich deutlich gespürt, dass wir in Israel nicht willkommen waren - sehr im Gegensatz zum Jahr 1984/85, wo uns damals zwar auch der Oberbürgermeister von Jerusalem sagte, "Sie sind in Israel willkommen, aber gehen Sie wieder in Ihre Heimat zurück", aber er sagte es auf freundliche Weise, so dass wir uns als vorübergehende Gäste wohlfühlen konnten.

Das alles ist nicht zu vergleichen mit der derzeitigen Situation in Europa und auch bei uns in Deutschland. Ich sehe natürlich ebenso wie viele, dass von rechter Seite Wühlarbeit betrieben wird, um das Projekt der Eingliederung möglichst eklatant scheitern zu lassen. Aber ich bin so sicher wie nur etwas, dass ich auf diese Leute nicht hereinfallen werde. Ich verstehe nicht einmal die Politik der CSU genügend, die bei allen berechtigten Forderungen nicht ahnt, was es bedeuten würde, wenn die Bundeskanzlerin morgen das Handtuch werfen würde und wir bei einer echten politischen Krise zur Unzeit ankämen.

Wenn die Parteien, zumal die mit dem "C" im Namen, jetzt nicht zusammenstehen, dann sind sie am Machtverlust selbst schuld und am Schluss werden die Flüchtlinge die Zechen zahlen müssen.