Hilpoltstein
"Die Stimmung ist explosiv"

Hilpoltsteiner Notarzt Bernd Kratschmer wirft wegen bürokratischer Querelen das Handtuch

14.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:01 Uhr

Bernd Kretschmer will seinen Notarztkittel an den Haken hängen. Drei Kollegen tragen sich mit der gleichen Absicht. - Foto: Meyer

Hilpoltstein (HK) Steht die Notarztversorgung im südlichen Landkreis Roth vor dem Aus? Genau das fürchtet der Hilpoltsteiner Chirurg Bernd Kratschmer, der seit 14 Jahren als Notarzt tätig ist. Jetzt will er das Handtuch werfen. Er ist sauer wegen eines undurchsichtigen Abrechnungssystems, das keiner mehr verstehe.

Grund ist die Novelle des Rettungsdienstgesetzes, die neue Modalitäten vorschreibt. Im Interview mit unserer Redakteurin Monika Meyer spricht Kratschmer über die Probleme des Notarztdienstes.

 

An Ihrer Bürowand hängen viele Dankeskarten.

Bernd Kratschmer: Die links oben ist von einer jungen Patientin, der ich das Leben gerettet habe, weil ich schnell da war. Sie hatte sich an einem Schnitzelstück verschluckt und war eigentlich schon erstickt, das Schnitzelstück haben wir rausgeholt und sie wiederbelebt. Sie kam dann zwei Tage später mit einem Blumenstrauß und der Karte.

 

Was ist der Kassenärztlichen Vereinigung solch ein Einsatz wert?

Kratschmer: Bisher hat es dafür 91 Euro gegeben.

 

Damit sind Sie nicht zufrieden?

Kratschmer: Die Höhe der Vergütung ist nicht das Problem. Jetzt will aber die Kassenärztliche Vereinigung dieses Honorar nachträglich für das letzte Quartal um sechs Prozent kürzen, weil sie in diesem Bereich ein Defizit aufgehäuft hat. Außerdem werden die Honorare nur unter Vorbehalt ausbezahlt, uns stehen womöglich Rückforderungen ins Haus, falls das Geld nicht reicht.

 

Wolfgang Krombholz, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, hat nun auf Anfrage des Hilpoltsteiner Kurier in Aussicht gestellt, dass die Honorare für 2012 und 2013 ohne Abschläge bezahlt werden. Sind damit Ihre Forderungen erfüllt?

Kratschmer: Absichtserklärungen helfen uns nicht weiter, in letzter Zeit habe ich schon zu viele Versprechen gehört, die nicht erfüllt wurden. Wir brauchen endlich Sicherheit für die nächsten Jahre, damit auch unsere jungen Kollegen die Motivation haben, in den notärztlichen Dienst einzusteigen.

 

Nun hängen Sie Ihren Notarztkittel an den Haken?

Kratschmer: Wir Notärzte leisten eine ehrliche Arbeit. Zu jeder Tages- und Nachtzeit muss ich auf Knopfdruck zu 100 Prozent da sein. Warum soll ich das nicht voll bezahlt kriegen? Das war für mich der Grund, nach drei schlaflosen Nächten zu sagen: Ich höre zum 1. Juli auf.

 

Wie ist denn die Stimmung in Ihrem Notarztkollegenkreis?

Kratschmer: Explosiv. Zwei meiner Kollegen machen ebenfalls zum 1. Juli Schluss, ein weiterer zum 1. August. Das sind dann vier Notärzte von sieben, die ich als Hochleister bezeichne, weil sie die meisten Dienste machen. Die anderen zehn helfen mal ein Wochenende oder tageweise aus.

 

Die Motivation scheint im Keller zu sein.

Kratschmer: Meine Kollegen sagen, dann bleiben sie an den Wochenenden und an Weihnachten lieber bei ihrer Familie.

 

Auf dem flachen Land ist der Notarztdienst ohnehin nicht so begehrt wie in der Stadt, wo mit vielen Einsätzen mehr Geld verdient werden kann. Sehen Sie die Notzarztversorgung in Hilpoltstein, Allersberg, Heideck und Greding gefährdet?

Kratschmer: Akut sogar.

 

Das bedeutet für die Patienten?

Kratschmer: Es gibt ja zeitkritische Diagnosen, ob Schlaganfall oder Herzinfarkt . . . Man sollte in jedem Fall innerhalb einer Stunde im Krankenhaus sein. Auch der schwerstverletzte Unfallpatient sollte in der goldenen Stunde des Schocks ein geeignetes Krankenhaus erreichen, sonst sinkt die Überlebensrate rapide.

 

Das kann dann nicht mehr eingehalten werden?

Kratschmer: Genau. Auch der Nachbarstandort Greding ist nur noch mit Mühe zu besetzen, wir haben dort einen Pensionär, der fast die Hälfte der Schichten fährt. Wenn der mal aufhören muss, ist der Standort schnell verwaist.

 

Können Rettungssanitäter dafür einspringen?

Kratschmer: Es gibt sicher gute Rettungssanitäter, die auch viel schaffen, keine Frage. Aber ein Sanitäter ist nun mal kein Arzt, der eine viel längere Ausbildung hat. Gerade am Wochenende hat eine meiner Kolleginnen in ihrer Freizeit im Freibad Hilpoltstein ein Kind erfolgreich wiederbelebt. Wenn nun bürokratische Querelen dazu führen, dass der Notarzt nicht mehr kommt, dann ist das ein Drama, finde ich.