Erlangen
Grasgeflüster in der Stadt

Hanfpflanzen gedeihen derzeit in Erlangen in aller Öffentlichkeit – Unbekannte Gärtner unterwegs

04.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:57 Uhr

Es wächst . . .

Erlangen (HK) In Erlangen haben Hanffreunde offensichtlich ein paar Samen vor einiger Zeit in die Erde gesteckt. Überall haben die fleißigen Gärtner Samen ausgesetzt: in Blumenkübeln vor Apotheken und in Balkonkästen vor Gaststätten. Nun scheint die Saat der Cannabisaktivisten langsam aufzugehen. Zur Freude vieler Hanffreunde. Das Gras ist an einigen Ecken in Erlangen unter freiem Himmel aus der Erde geschossen. Die Cannabispflanzen verzieren aber nur kurze Zeit die City. Meistens ist schnell jemand mit der Gartenschere zur Stelle.

„Ich wäre stolz darauf, wenn ich auf die Idee gekommen wäre und es getan hätte“, sagt Joe, der gerade in Erlangen eine Ausbildung macht. Beim abendlichen Bummel durch die Gassen traute er seinen Augen kaum. „In einem Beet vor dem Bahnhof stand eine richtig schöne Hanfpflanze“, erzählt Joe. Freilich hat der junge Mann gleich die Kamera gezückt und ein paar Fotos von den zarten Gewächsen gemacht. Keine hundert Meter weiter haben Joe und seine Freunde am gleichen Abend noch eine Hanfpflanze im Straßendschungel entdeckt.

Hinter dem Wildwuchs vermutet Joe eine spaßige Protestaktion für die Legalisierung von Marihuana. „Ich finde diese Gartenguerilla absolut cool“, sagt Joe, der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Schließlich ist das Anbauen dieser Kulturpflanze in Deutschland nicht erlaubt. Freilich, gibt Joe zu, zünde er sich manchmal nach der Arbeit eine Haschzigarette an. „Klar rauche ich ab und zu mal einen Joint. Ich sehe da kein Problem drin.“ Er kenne leider auch Leute, die es mit dem „Kiffen“ übertreiben würden. „Aber das gibt es beim Alkoholkonsum doch genauso. Die krasse Strafverfolgung steht jedenfalls in keinem Verhältnis zur Gefährlichkeit der Droge.“

Genaue Verzeichnisse der Pflanzenstandorte gibt es freilich nicht. Die meisten Pflanzen sind mittlerweile wohl auch schon wieder weg. Denn strafrechtlich betrachtet ist die Aktion durchaus heikel. „Der Anbau von Cannabis ist strafbar“, sagt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke. Wenn die Polizei eine Pflanze entdeckt, leitet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Unbekannt ein. Der Anbau von Cannabis im öffentlichen Raum würde sogar strenger geahndet als der private Anbau. Schließlich seien die Pflanzen mit den markant gezackten Blättern beispielsweise auch für Minderjährige so leichter zugänglich, erklärt Gabriels-Gorsolke.

„Uns wurde keine Hanf-Sichtung in der Stadt gemeldet“, sagt Christoph Kintopp von der kommunalen Abteilung für Stadtgrün. „Wenn wir Cannabispflanzen irgendwo entdecken, dann zupfen wir sie heraus.“ Schließlich würden die tropischen Gewächse in städtischen Grünflächen sofort auffallen. „Hanf wächst wie Unkraut. Besonders bei diesen Temperaturen, so der Fachmann. Übersehen könne man die Gewächse im Sommer also kaum. „Eine Hanfpflanze, der es gut geht, wird so groß wie eine Maisstaude. Die kann man praktisch nicht übersehen, wenn man sie erkennt“, sagt Kintopp. Wo Vogelfutter ausgelegt werde, könne schon mal wilder Hanf in der Stadt keimen. Auf städtischen Rasenflächen würden die Pflanzen freilich schnell abgemäht.

Die Grünen fordern seit Jahren eine kontrollierte Freigabe des Cannabis. Seit neuestem plädieren auch die Liberalen für eine Entkriminalisierung des Hanfs. „Ich bin überhaupt kein Freund der Cannabislegalisierung“, sagt allerdings Lars Kittel, der seit 13 Jahren für die FDP im Erlanger Stadtrat sitzt. Das Cannabis aus der „Hippie-Flower-Power-Zeit“ habe ein Wirkstoffgehalt von zwei bis drei Prozent gehabt. Das aktuelle Zeug sei viel stärker und habe einen THC-Gehalt von bis zu 20 Prozent, sagt der Fachanwalt für Strafrecht, der in seiner Erlanger Kanzlei häufig Cannabiskonsumenten juristisch betreut.

Theoretisch ist der Konsum von Haschisch oder Marihuana in ganz Deutschland verboten. Nach Paragraf 29 des Betäubungsmittelgesetzes sind Anbau, Herstellung, Handel, Einfuhr, Ausfuhr, Abgabe, Veräußerung, Erwerb und Besitz von allen Pflanzenteilen des Cannabis strafbar, sofern keine Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegt. Der Konsum steht kurioserweise nicht auf dieser Liste. Das Rauchen ist also theoretisch erlaubt. Schließlich ist die „Selbstschädigung“ in Deutsch-land straffrei. Die Länder haben auch Höchstmengen für den Eigenbedarf festgelegt. In Bayern sind dies sechs Gramm. Allerdings sei die Strafverfolgung in den Bundesländern unterschiedlich, weiß Lars Kittel. „Die Praxis in Bayern ist viel härter als in anderen Bundesländern“, sagt der Strafrechtler.

Wer mit Kleinstmengen zum ersten Mal erwischt wird, kann zwar mit einer Einstellung des Verfahrens rechnen. Allerdings steigt bei Wiederholungstätern das Strafmaß mit der Häufigkeit der Delikte empfindlich an. Wer viel Gras oder Hasch besitzt oder gar damit einen regen Handel betreibt, dem drohen empfindliche Strafen bis zum Freiheitsentzug. Überhaupt keinen Spaß versteht die Justiz bei der Weitergabe von Cannabis an Minderjährige, so Kittel. Selbst wenn der „Gelegenheitskiffer“ nicht fürchten müsse, schnell im Gefängnis zu landen, drohe großer Ärger mit den Führerscheinstellen. Auch wenn die Justiz ein Verfahren einstellt, kassieren Städte und Landkreise in der Regel den Führerschein ein.

Joe schwört freilich felsenfest, dass er sich niemals hinter ein Steuer setzen würde, wenn er zuvor etwas Gras geraucht habe. Er wünscht sich einfach, dass er sich nach einem Joint am Lagerfeuer nicht wie ein Krimineller fühlen muss. Deswegen will er auch am 8. August zur Hanfparade nach Berlin fahren und vor dem Bundestag „Gebt das Hanf frei!“ rufen. „Ich freue mich schon auf die Hanfparade“, sagt Joe. In den letzten Jahren seien die Bayern dort fast unter sich gewesen. „In vielen anderen Bundesländern ist Kiffen kein Problem mehr“, erzählt Joe kurz vor seiner Abreise.