Erlangen
Ein Himbeerpalast für Studenten

Bonbonfarbenes Siemenshochhaus soll Domizil für die Uni Erlangen werden

21.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:11 Uhr

Der markante Himbeerpalast (links) ist das Symbol für den Neuanfang der Siemens AG nach dem Krieg. Da Siemens einen neuen Firmencampus im Süden der Stadt entwickeln will, könnte das Gebäude die Raumprobleme der Uni Erlangen lösen. - Foto: Siemens, 1962

Erlangen (HK) Erlangen platzt nicht nur aus allen Nähten. Über den Köpfen der Studenten in der Philosophischen Fakultät bröckelt auch der Putz von der Decke. Vor diesem Hintergrund ist die Nachricht der Siemens AG, den markanten Himbeerpalast aufgeben zu wollen, wie eine Bombe eingeschlagen.

„Das wäre ein Befreiungsschlag und eine historische Chance, die wir nicht vorbeigehen lassen sollten“, sagt der Präsident der Friedrich-Alexander-Universität, Professor Karl-Dieter Grüske, und macht eine einfache Rechnung auf. Ein Umzug in den Himbeerpalast käme deutlich billiger, als die aktuellen Gebäude der Philosophischen Fakultät beispielsweise in der Koch- und Bismarckstraße mit seinen beiden Philosophen-Türmen abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen. „Wir hätten 15 Jahre praktisch ununterbrochen eine Baustelle“, warnt Grüske.

Gerade den Geisteswissenschaftlern könne man dies nicht zumuten. Philosophen brauchen eben Ruhe statt Baulärm zum Lernen und Arbeiten, findet der Rektor und erklärt, dass die Betonbauten aus den 60er Jahren spätestens in zehn Jahren allesamt „am Ende“ seien. Derzeit werden die maroden Gebäude der Philosophischen Fakultät, in denen beispielsweise Germanistik, Soziologie und Geschichte gelehrt wird, notdürftig saniert.

Der Technologiekonzern wird den Himbeerpalast freilich nicht kostenlos hergeben können. Das Aktionärsrecht verbietet ein solch fürstliches Geschenk. Siemens wäre aber „sehr einverstanden“ mit einer universitären Nutzung des Palastes, sagt Heinz Brenner, der Sprecher des Siemens-Standortes in Erlangen. Denn das bonbonfarbene Hochhaus im Herzen der Stadt sei nicht irgendein Gebäude. Der markante Bau sei ein Symbol für den Neubeginn nach dem Krieg und eine „steingewordene Siemens-Ikone“, unterstreicht Brenner die Bedeutung des Palastes für die Firmengeschichte.

Auf dem riesigen Forschungsgelände im Süden der Stadt will der Konzern in spätestens zehn Jahren einen neuen Firmencampus entwickeln, um für Arbeitnehmer langfristig attraktiv zu bleiben. In unmittelbarer Nähe zur Technischen Fakultät der Universität sollen ultramoderne Arbeitsplätze für das 21. Jahrhundert entstehen. In dem neuen „Kreativzentrum“ sollen die Mitarbeiter an neuen Ideen und Lösungen für die vielfältigen Geschäftsfelder des weltweit agierenden Konzerns tüfteln. Derzeit ist Siemens in Erlangen auf vier großen Standorten überall in der Stadt verteilt. Aktuell arbeiten rund 25 000 Mitarbeiter für die „Denkfabrik“.

Mit der Aufgabe des Himbeerpalastes im historischen Siemens-Standort in Erlangen-Mitte bekennt sich der Konzern mit den Plänen im Süden gleichzeitig langfristig zum Standort in der Hugenottenstadt. Zudem kann der Konzern der Stadt auch Chancen für weitere Entfaltung bieten. Denn in den letzten Jahrzehnten war Bauland in der boomenden Stadt nicht nur knapp, sondern auch teuer. Siemens erhofft sich, dass Erlangen durch die „neue Mitte“ noch urbaner wird. Damit soll die Unistadt für Mitarbeiter aus aller Welt attraktiv bleiben.

Uni-Präsident Grüske hat den denkmalgeschützten Palast schon mehrmals besichtigt. Bezahlen kann die Uni den roten Firmentempel aus eigener Tasche freilich nicht. Der Freistaat muss für die Infrastruktur der Hochschule aufkommen. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist als eingefleischter Erlanger aber begeistert von den Plänen. Auch die Studenten dürften sich freuen, wenn sie in einen echten Palast einziehen dürfen. Aus dem Häuschen sind die „Philosophen“ allerdings noch nicht. „Das ist alles noch Zukunftsmusik. Der Umzug in den Himbeerpalast wird mindestens noch zehn Jahre dauern. Solange müssen wir noch in maroden Bauten studieren“, ärgert sich der stellvertretende Fachschaftssprecher der Philosophischen Fakultät, Kai Padberg.

An der Realisierung des Umzugs der Studenten wird derweil fieberhaft auf höchster Ebene beraten und verhandelt. Dass der Siemens-Konzern keine Unsummen für den Palast vom Freistaat verlangt, scheint dabei ausgemacht. Nun wird geprüft, inwieweit Hörsäle und Bibliotheken in die historischen Siemens-Büros eingepasst werden können. Bislang schaue alles positiv aus, betont Grüske und sagt: „Das ist eine historisch einmalige Gelegenheit.“ Im Frühjahr soll bereits eine Entscheidung fallen. Für Grüske wäre eine gelungene „Palastrevolte“ wohl die Krönung seiner präsidialen Amtszeit, die in einem Jahr endet.