"Bestimmt
Ungeschehener Mord ohne Leiche

24.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:36 Uhr

"Bestimmt sind Bayerns Medien schuld. Nicht einmal mehr über einen Mord mit antisemitischem Hintergrund berichten sie!" Das muss empfunden haben, wer auf der Webseite der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag eine Pressemeldung von Markus Rinderspacher gelesen hatte.

"Ein Mord und ein Totschlag, die antisemitischen Tätern zugeordnet werden" seien unter den 176 Straftaten im Jahr 2016 mit judenfeindlichem Hintergrund in Bayern gewesen, verkündete SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher am 27. Januar. Doch warum hatten die Medien im vergangenen Jahr darüber nicht berichtet? Weil es 2016 diese beiden Opfer von Kapitalverbrechen nicht gegeben hat: Ein Betrunkener in einem Nürnberger U-Bahnhof, der jemand auf das Gleis schubste, sowie ein Mann, der einen SEK-Beamten versuchte umzubringen, waren die Ausführenden. Beide hätten sich dabei antisemitischer Äußerungen bedient. Das bestätigt die Polizei auf Nachfrage.

Dabei berief sich Rinderspacher auf eine aus seiner Sicht unbestreitbare Quelle: Ganz offiziell hatte Staatsminister Joachim Herrmann auf eine "Anfrage zum Plenum" des SPD-Abgeordneten geantwortet. "1 x . 211 StGB Mord, 1 x . 212 StGB Totschlag" finden sich in der Liste "antisemitische Straftaten".

Bei Nürnbergs Polizeipräsidium, der Dienststelle, von der die Kapitalverbrechen sofort nach Bekanntwerden sowie später für die Statistik nach München gemeldet wurden, schwört man Stein und Bein: Die Statistikmeldung sei genau. Sie zeige, wenn es beim Versuch geblieben ist: "Jedes Delikt hat seine Schlüsselzahl." Also was nun? Das Landeskriminalamt LKA verweist für eine Auskunft direkt an Herrmanns Ministerium. Für dessen Pressesprecher Oliver Platzer "umfasst . 211 auch den versuchten Mord. Das ist nur eine statistische Aufführung, aber keine polizeiliche Kriminalstatistik": So erklärt er des Ministers Antwort an den Landtag.

Sind also schriftliche Auskünfte der Staatsregierung an Abgeordnete nur Muster ohne Wert, ohne Pflicht auf Wahrheit nach Treu und Glauben? Bedürfen sie etwa gar einer grundsätzlichen Nachprüfung, bevor sie der Öffentlichkeit präsentiert werden dürfen? "Es bleibt dem Abgeordneten unbenommen, die Inhalte seinerseits zu überprüfen. In der Regel werden Antworten der Staatsregierung dem jeweils aktuellen Kenntnisstand und der verfügbaren Datenlage entsprechen", schätzt ein Landtagssprecher.

Aber einen Mord zu verkünden, den es nicht gibt: Das darf einem Politiker nicht passieren. Schon gar nicht in Zeiten von Fake News, "Alternativer Wahrheit", "Lügenpresse"-Geschrei. Und speziell nicht dem Minister, der für die Innere Sicherheit verantwortlich ist. Heinz Wraneschitz