Ansbach
Barrieren aus Beton und in den Köpfen

In Ansbach soll ein Teilhabeplan für Menschen mit Behinderung erstellt werden

21.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:27 Uhr

Foto: Evang. Presseverband für Bayern e.V.

Ansbach (epd) Die unscheinbare Stufe vor dem Café, der Busfahrer, der lieber Kinderwagen statt Rollstühle mitnimmt, keine Toilette für Gehbehinderte - die Hürden für Menschen mit Handicap im Alltag sind vielfältig. In Ansbach sollen sie nun abgebaut werden.

Vorsichtig fährt die ältere Frau mit ihrem Elektrorollstuhl rückwärts. Links leuchten Begrenzungszäune einer Baustelle in grellem Rot, rechts geht es steil abwärts vom Bahnsteig auf die Gleise. "Der Wendekreis meines Rollstuhls ist zu groß zum Wenden", erklärt Renate Holzmann. Um eine Fahrt von Ansbach nach Würzburg oder München zu machen, muss die Rollstuhlfahrerin aus Ansbach mindestens zwei Tage vorher bei einer kostenpflichtigen Hotline der Deutschen Bahn anrufen, um sich einen Begleiter über die Schienen zu organisieren. Einen Fahrstuhl zu den Gleisen gibt es auf dem Ansbacher Bahnhof bisher nicht.

Gemeinsam mit vier Studentinnen der Technischen Universität (TU) München und einer weiteren Betroffenen bewegt sich Holzmann weiter in Richtung Ansbacher Innenstadt, denn auch dort warten viele Hürden. Neun weitere Gruppen, bestehend aus Menschen mit verschiedenen Handicaps, machen sich an diesem Tag auf den Weg, um die Stadt auf Behindertenfreundlichkeit zu testen. Die Begehung der Stadt ist nur ein Teil des Projekts "In Ansbach leben: offen - vernetzt - barrierefrei", an dessen Ende ein Teilhabeplan für Ansbach erstellt werden soll, der als Grundlage für wichtige Inklusionsprozesse dient.

Begleitet werden die Betroffenen von Studenten der TU München, die als Bestandteil ihres Studiengangs "Gesundheitswissenschaften" die Sozialraumbegehung auswerten werden. Weitere Säulen des Projekts sind Arbeitsgruppen, Statistiken und ein Fragebogen, der an alle gemeldeten Menschen mit Behinderung in der Stadt Ansbach verschickt worden ist. Träger und Entwickler sind die Offenen Hilfen der Diakonie Neuendettelsau - kurz "Aron", die Abkürzung steht für die Bürostellen der Einrichtung Ansbach, Rothenburg ob der Tauber, Obernzenn und Neustadt an der Aisch - in Zusammenarbeit mit dem Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Ansbach.

"Wir wollten schon lange einen Teilhabeplan, der den Ist-Zustand dokumentiert", erklärte Judith Hoppe, Leiterin der Offenen Hilfen und Vorsitzende des Beirats. Über dem Ansbacher Projekt steht das Rahmenkonzept "Ambulantisierung im Bezirk Mittelfranken", das die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen verbessern will. Als eines von vier Projekten in der Region finanziert der Bezirk auch den Teilhabeplan in der Residenzstadt. In Ansbach lebten laut Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) Ende Dezember vergangenen Jahres 6646 Menschen mit anerkannter Behinderung.

Gemessen an der Einwohnerzahl von rund 40 000 sind das 16 Prozent der Bürger. Die tatsächliche Zahl sei jedoch noch größer, da besonders psychische Erkrankungen nicht alle gemeldet werden, sagt Hoppe. Trotz dieser Anzahl findet sich vor beinahe jedem Eingang im Bereich der Innenstadt mindestens eine Stufe - und längst nicht alle Ampeln sind mit Blindenanlagen ausgestattet. Schnell zum Bäcker, zum Optiker, in den Friseursalon oder das Ärztehaus - für jeden gehenden und sehenden Menschen kein Problem, für viele Rollstuhlfahrer und Blinde jedoch eine Herausforderung. "Man darf auch keine schwache Blase haben", sagt Holzmann und spielte auf die vielen gepflasterten Stellen an.

Als ob diese Schwierigkeiten nicht schon anstrengend genug wären, müssen viele Betroffene mit unfreundlichem Personal, ungünstigen Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen und Einsparungen im Nahverkehr kämpfen. Besonders Menschen, denen die Behinderung nicht leicht anzusehen ist, träfen auf fast unüberwindbare Hürden. Ani Nerdenyan ist so eine Person. Aufgrund einer Muskelerkrankung kann sie ihren Alltag nur mit vielen Tabletten meistern. Weit laufen kann sie nicht und doch lassen sie einige Busfahrer regelmäßig mit ihrem Rollstuhl an der Bushaltestelle stehen, da Mütter mit Kinderwagen Vorrang haben und beides nicht in den Reisebus passt, der ihre Linie anfährt.

Doch nicht nur Gehbehinderte stoßen auf Barrieren im täglichen Leben, auch Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen oder lernschwache Bürger nahmen an der Begehung teil. So sollen Missstände, Lücken und Verbesserungsbedarf für jede Gruppe generiert werden. Seitdem die UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 in Kraft getreten ist, sieht sich die Bundesregierung in der Pflicht die "volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft" von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. So steht es in der Konvention. Einige Städte und Landkreise verfügen bereits über einen Teilhabeplan. In Mittelfranken sei Ansbach bisher Vorreiter, betont Hoppe.