Pädagogischer Unsinn

04.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:41 Uhr

Zu "Das radelnde Klassenzimmer" (EK vom 29./30. Juli):

Was war noch mal die letzte Idee zum Thema Schule? Endlich kommt eine neue! Eine Sau ist gefunden, die man durchs Dorf jagen kann. Grunzend verrät sie ihren Namen: "Das radelnde Klassenzimmer". Was man immer schon ahnte, hier wird es sinnvoll umgesetzt. Eine tolle Theorie: Schüler lernen umso besser, je mehr sie gleichzeitig tun. Das nennt man neudeutsch Multitasking. Am besten, Schüler tun beim Lernen gleichzeitig was Motorisches, weil sie eh nicht ruhig sitzen können. Es muss blinken und blitzen, wo früher die Tafel stand, man muss auf Tablets wischen, wo man früher in einem Buch blätterte.

Der Tatbestand ist unerwähnt, aber jedem Insider bekannt. Es geht in allen Bildungseinrichtungen, von allen Schulen bis hin zur Universität, vorrangig darum, nach außen ständig "innovativ" und "kreativ" zu wirken. Ein Idee scheint dabei gar nicht dumm und lebensfremd genug sein zu können, damit sie nicht von jemandem vertreten wird und "wissenschaftlich" untermauert ist. Bildungsforscher Nagengast vom Hector-Institut an der Universität Tübingen springt hier gleich mal ein: "Es ist sehr zu loben, wenn Schulen . . . nicht nur Ideologien folgen", sondern auf "wissenschaftliche Evidenz" hören. Evidenz ist offensichtlich, was ein begeisterter Pädagoge des Pilotprojekts wissen lässt: "Es fällt niemand in der Klasse durch."

Vorab ein Wort zur wissenschaftlichen Auswertung des pädagogischen Unsinns. Zum einen erfährt man nicht, wer wo wie was untersucht und wie ausgewertet hat. Aber genau dies wäre relevant. Bekanntlich soll man nur Statistiken trauen, die man selbst gefälscht hat.

Wenn sich ein Schulleiter vor so einen weltfremden Karren spannen lässt, ist das in meinen Augen kein Qualitätsmerkmal seiner Kompetenz. Dass die Durchfallquote deutlich gesenkt wurde und auf die Stramplerei im Klassenzimmer zurückzuführen sein soll, glaubt nur, wer Nullkommanix Ahnung von der Sache Pädagogik und Lernen hat oder alles an Berufserfahrung gezielt opportunistisch ignoriert.

Die Noten macht, auch wenn dies für manche eine unbequeme Erkenntnis sein sollte, immer noch der Lehrer. Fakt ist also: Sage dem Lehrer, welcher Notenschnitt "von oben" gewünscht ist, und er liefert ihn, wenn er nicht Unannehmlichkeiten "von oben" bekommen will. Da kann man mit jedem x-beliebigen Lehrer unter vier Augen reden. Er wird es bestätigen. Man überdenke doch schlicht einmal den Umstand, dass der Schnitt von 1,0 im Abitur stetig zunimmt, bei gleichzeitiger Klage der Universitäten, dass Abiturienten zunehmend mangelnde Studierfähigkeit aufweisen. Und worüber klagen die Betriebe, wenn sie Lehrlinge einstellen? Es fehlt - nicht mangels Radeln beim Lernen - an Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen.

Josef Hueber, ehemaliger

Studiendirektor am

Gabrieli-Gymnasium,

Eichstätt