"Ich spüre die Verantwortung"

17.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:39 Uhr

Bühnen sind ihr vertraut: Agnes Krumwiede moderiert einen Kabarettabend der Grünen im Altstadttheater. Doch die Diplommusikerin will nicht auf die Rolle der Kulturbeauftragten festgelegt werden. - Foto: Silvester

Ingolstadt / Eichstätt (EK) Krumwiede. Diesen Namen wird er sich wohl merken müssen. Johann Horn, kampferprobter Spitzenfunktionär der IG Metall, blickt für drei Sekunden irritiert drein. Gerade ist ihm etwas passiert, was dem Moderator einer Podiumsdiskussion eigentlich nicht passieren sollte. Er hat "Frau Krummweide" um ihren Beitrag gebeten. Die Korrektur bricht über ihn herein: "Krumwiede!" Sehr energisch vorgetragen.

So wie die mit dynamischem Crescendo einsetzende Kampfansage an die Förderer der sozialen Ungleichheit. Schon den Auftakt gestaltet die Kandidatin der Grünen dramatisch: "Bitte unterbrechen Sie mich, wenn ich zu lang rede!" Agnes Krumwiede, 32, Pianistin, Kunstjournalistin, staatlich geprüfte Musiklehrerin, hat viel zu sagen. Und das erledigt sie mit Wucht, bis dass die Lautsprecherboxen im Saal des Gewerkschaftshauses vibrieren und die Zuschauer beeindruckt vernehmen, wie "menschenverachtend! – unerhört! – unmöglich! – verlogen!" sich für sie die sozialen Defizite samt den Machenschaften der politischen Gegner darstellen.

Angenehm kurze Reden

Krumwiede spricht nicht einfach, sie deklamiert. Bühnen sind ihr vertraut. Eines passiert ihr nie: die Zuhörer mit Längen zu nerven. Im Ensemble der zum Teil phrasenlastigen Mitbewerber hebt sich die junge Grüne nicht zuletzt durch gutes Zeitgefühl hervor.

Sie vermag die gesammelten Gemeinheiten der Gesellschaft in drei Minuten dreißig darzulegen, ohne dabei mit opulenten Bedeutungsverdoppelungen zu geizen. Etwa bei den "existenziellen Überlebensfragen", für die nur Grüne Antworten kennen, oder im Fall des "elitären Elfenbeinturms", in dem sie nie wohnen möchte.

Und als ob sie unter Beweis stellen müsste, dass sie bei den Grünen nicht nur fürs Feuilleton zuständig ist, gibt sie dem FDP-Mann neben ihr bissig- schmissig eine mit. Die Diskussion eröffnet sie so gleich mal selbsttätig, was der Moderator, der den Namen Krumwiede inzwischen unfallfrei aufsagen kann, auch bald einsieht.

Hartz IV, Mindestlohn, Zeitarbeit. Die Klassiker sozial sensibler Empörung trägt sie souverän vor. Franz Schmidt von der FDP – gar nicht mal der schlimmste Freund des Wirtschaftsliberalismus – muss viel einstecken. Hier offenbart die Rhetorik der jungen Frau eine interessante Kombination aus kalkulierter Unbekümmertheit und unbewusster Selbstgewissheit. Mal dröhnt sie wie die junge Künast, mal erinnert sie an den späten Lafontaine. Impulsiv. Attacke statt Konsens. Stets die Meisterklasse im Blick, niemals das Mittelmaß. Chopin statt Mayr. Das ist ihr Ton.

Und ein Teil ihres Problems. Agnes Krumwiede erfreut sich bester Aussichten, ein Bundestagsmandat zu bekommen. Sie hat Listenplatz 9, da rückt Berlin ganz nahe; es sei denn, die Grünen zünden im Wahlkampffinale noch einen unpopulären Kracher. Doch kraftvoller Optimismus kann auch eine Bürde sein. "Ich spüre die Verantwortung", erzählt sie zwischen zwei Terminen. "Ich stehe seit Wochen unter Adrenalin."

Beteuerungen der Art, sie sei ja noch nicht gewählt, betreibt die Kandidatin eher halbherzig. Dafür ist Platz 9 viel zu weit oben. In kleiner, vertrauter Runde beginnt Agnes Krumwiede Beiträge gern mit dem Satz: "Da ich ja wahrscheinlich bald im Bundestag sein werde."

Die Parteifreundin Petra Kleine hält sich nicht mit Konjunktiven auf. "Die Agnes wird auf jeden Fall im Bundestag auch dem Kulturausschuss angehören", ließ sie zum Beispiel die jungen Kunstschaffenden wissen, die Krumwiede am Beginn des Hauptwahlkampfs zum Podiumsgespräch geladen hatte. "Also pflegt den Kontakt mit ihr gut! – "Agnes IN Berlin", wie es groß auf den Plakaten mit dem Künstlerfoto der Kandidatin steht, ist für die Ingolstädter Grünen längst eine Gewissheit. So was hilft ihr aber im Wahlkampf nur bedingt weiter.

Tag für Tag neue Erfahrungen. Gute und lehrreiche. Der Kulturdiskurs im Lokal Swept Away etwa ließ noch Wünsche offen. Vor allem: ihre eigenen, wie sie später bekennt. Junge, nette Künstler sollten über die komplizierten Zusammenhänge zwischen Kultur und Kommerz diskutieren. Dies gelang ihnen derart komplex, dass das intellektuelle Niveau in kaum mehr vermittelbare Höhen schoss.

Die Kultur liegt ihr am Herzen, daran lässt sie keine Zweifel. Doch die Affinität bedingt das nächste Problem: "Ich will nicht nur auf die Kunst festgelegt werden! Ich bin nicht mal eine Intellektuelle. Ich habe auf meiner Facebook-Seite ein Zitat von Adorno, und das war’s!" Sie verwendet viel Mühe darauf zu vermitteln, dass sie ebenso emphatisch gegen Atomenergie streiten kann. Oder für Bürgerrechte. Oder Chancengleichheit. Und da kommt sie schon wieder zur Kultur. Krumwiede empfindet es als ihr Dilemma, "dass die Eltern meiner Klavierschüler zu den Besserverdienern gehören". Sie will sich dafür einsetzen, dass Musikschulen und Kindergärten kooperieren, um kostenlos Musikpädagogik anzubieten. "Kultur muss allen zugänglich sein!"

Porträt im Fernsehen

Zwei Stunden nach der Diskussion bei der IG Metall steht die Kandidatin auf der Bühne des Altstadttheaters. Vor ihr eine Front von Freunden, darunter Dieter Janecek, Bayerns grüner Landeschef. Gleich wird der bekennende Niederbayer Florian Kopp zu Politkabarett ansetzen. Glückliche Gesichter allenthalben. Null Dissonanzen. Hier darf die Musikerin endlich ganz unbefangen in die Welt der Kunst eintauchen.

Just zur selben Zeit sendet der BR ein Porträt über Agnes Krumwiede und CSU-Kandidat Reinhard Brandl. "Traumziel Bundestag". Gut möglich, dass demnächst alle beide dort vor der Kamera stehen.

Der Eichstätter Kurier setzt seine Serie zur Bundestagswahl 2009 in der Montagsausgabe mit einem Porträt der SPD-Kandidatin Ursula Engelen-Kefer fort.