Gaimersheim
Die Rückkehr zur Normalität

Integra verhilft chronisch Suchtkranken wieder zu einer Arbeit und einem geregelten Tagesablauf

18.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:51 Uhr

Der „singende Putzmann“ Ives Orlamünde (links) hat – wie auch andere Beschäftigte in den Werkstätten – bei Integra wieder zu seinem Glück und einem geregelten Tagesablauf gefunden - Foto: Schmidl

Gaimersheim (EK) Das Datum kommt wie aus der Pistole geschossen. An den 24. April 1997 erinnert sich Ives Orlamünde noch genau. Denn es war der Tag, an dem er mit dem Trinken aufgehört hat – auf Druck seiner Oma, die ihn ansonsten nicht mehr unterstützt hätte.

Seit Anfang dieses Jahres kommt Orlamünde regelmäßig in die Ottostraße in Gaimersheim, wo die Integra Soziale Dienste, eine gemeinnützige GmbH, ihren Hauptsitz – und auch eine Werkstätte – hat, und arbeitet dort als „einziger Putzmann, der noch dazu bei seiner Arbeit singt“, wie er stolz erzählt. Ein Nervenzusammenbruch, ausgelöst durch den Verlust von gleich sechs engen Verwandten und guten Freunden innerhalb kurzer Zeit, hat den 38-Jährigen aus Neumarkt-St. Veit zwar zurückgeworfen. Aber er hat zumindest nicht wieder mit dem Trinken angefangen wie damals im Alter von nur zwölf Jahren, als er seine Mutter verloren hatte.

Orlamünde ist somit seit gut 17 Jahren trocken. Und er ist guter Dinge. Er schreibt Liedtexte und Songs – einer davon mit der Liedzeile „Wenn die Abendsterne am Nachthimmel stehen...“ ist sogar bei YouTube zu bewundern – und er singt nicht nur beim Putzen, sondern auch in der Integra-Band mit dem bezeichnenden Namen Die Bleifreien.

Ives Orlamünde ist ein typischer Klient, wie Integra die Menschen nennt, die von ihren Mitarbeitern betreut werden. Denn für das Unternehmen mit Standorten in Gaimersheim, Ingolstadt, Manching, Eichstätt, Neuburg und Rain am Lech stellt die Arbeit mit Suchtkranken den Schwerpunkt dar, obwohl auch psychisch Kranke oder Menschen mit einer sogenannten Doppeldiagnose zu Integra kommen. Man wisse oft nicht, was die Ursache und was die Folge der Probleme der Klienten sei, sagt Daniela Hofmann, eine Sozialpädagogin, die bei Integra für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. „Hat jemand zu trinken angefangen, weil er psychische Probleme hatte, oder hat jemand psychische Probleme bekommen, weil er zu trinken angefangen hat“, fragt sie und umreißt damit das für die Integra-Mitarbeiter allerdings zweitrangige Problemfeld. Denn: „Wir sind keine Therapeuten, sondern Sozialarbeiter.“

Gegründet wurde Integra im Jahr 2000 von Dieter Moosheimer und Marianne Schlamp (die geschäftsführenden Gesellschafter), weil es damals in der Region laut Hofmann keine ambulanten Hilfen für Menschen mit chronischen Suchterkrankungen gab. Aus den Anfängen mit einem kleinen Büro in der Ettinger Straße in Ingolstadt hat sich bis heute ein Unternehmen mit knapp 100 Mitarbeitern – vor allem pädagogisches Fachpersonal wie Erzieher, Sozialpädagogen oder Heilerziehungspfleger, aber ebenso Handwerker – entwickelt, für das der Bezirk Oberbayern als Kostenträger geradesteht und das rund 400 Klienten aus der ganzen Region versorgt. Das kann in (insgesamt acht) therapeutischen Wohngemeinschaften von Integra sein, im Rahmen von betreutem Wohnen in den eigenen vier Wänden der Klienten und/oder in den sechs Integra-Werkstätten, in denen die Klienten maximal drei Stunden am Tag und höchstens 14,5 Stunden pro Woche einer Arbeit nachgehen.

Wer mehr arbeiten will oder kann, für den ist auch ein Integrationsarbeitsplatz möglich. Es gibt aber auch das andere Extrem: etwa eine Frau mit einer Wochenarbeitszeit von nur einer Stunde. Die Klienten erhalten laut Hofmann für ihre Arbeit eine „Entlohnung als Motivationszuschuss“. Viel wichtiger sei aber der „Versuch, vom Suchtdruck abzulenken“.

Bedingung für den Arbeitsantritt in der Werkstatt ist ein Alkoholpegel von 0,0 Promille, sagt Andreas Frahm. Und das werde auch überprüft. Der Diplom-Pädagoge betreut in den Werkstätten in Gaimersheim zwölf Leute. Denn auch wenn der Bezirk Oberbayern als Kostenträger fungiert, muss Integra einen Teil der anfallenden Kosten selbst erwirtschaften. Und das geschieht etwa durch Aufträge aus der Wirtschaft, die in den Werkstätten ausgeführt werden, durch Gartenarbeiten, Umzüge oder Wohnungsauflösungen.

Das geschieht aber auch durch die Verkäufe von Produkten, die in den Werkstätten hergestellt und in den drei Integra-Läden verkauft werden – alles zusammengefasst unter dem Begriff „Chiceria“. Zudem sind diese oftmals durch Upcycling entstandenen Dinge – beispielsweise fertigt ein Klient aus altem Besteck Schmuck – auch auf Märkten erhältlich. So etwa an diesem Wochenende auf dem Gaimersheimer Weihnachtsmarkt, dessen Holzhütten im Übrigen auch von Integra-Mitarbeitern zusammengezimmert wurden.

Am öffentlichkeitswirksamsten ist aber derzeit der Schlittschuhverleih, den Integra momentan an der Eisfläche auf dem Ingolstädter Paradeplatz betreibt. Dass Integra überhaupt als gemeinnützig anerkannt ist und vom Bezirk Oberbayern unterstützt wird, liegt laut Hofmann auch daran, dass die Gesellschaft mit ihrer Arbeit das Gesundheitssystem stützt. Denn oberstes Ziel sei immer, dass die Klienten zu einem geregelten Leben zurückkehren und neue Motivation bekommen – und im Idealfall wieder eine sozialversicherungspflichtige Anstellung finden. Bei den Bewerbungen dafür werden sie von Integra-Mitarbeitern unterstützt. Und bei einem Rückfall können sie auch wieder zurück. Denn „unsere Klienten werden hier getragen, nicht stigmatisiert“, so Hofmann.

Gute Arbeitsbedingungen finden aber nicht nur die Klienten in den Integra-Werk-stätten. Auch als Festangestellter lässt es sich bei Integra offensichtlich gut arbeiten. Denn von 2011 bis 2013 erhielt das Unternehmen dreimal eine Auszeichnung als „Great Place to Work“ im Gesundheitswesen, 2013 war Integra sogar zusätzlich unter den besten Arbeitgebern aller Kategorien.