Eichstätt
Struktur in das wochenlange Warten bringen

In der Erstaufnahmeeinrichtung Maria-Ward können Flüchtlinge den Alltag sinnvoll gestalten – Heimatkontakt dank W-Lan

25.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Im Tagesstrukturprogramm der Maria-Ward-Erstaufnahmeeinrichtung werden die Bewohner auch für den Einkauf im Supermarkt geschult: Gar nicht so leicht, die deutschen Namen für die Lebensmittel zu erlernen - Fotos: chl

Eichstätt (EK) Und nun? Was tun? Nach gefährlicher und zermürbender Flucht kommen die Asylbewerber in der Erstaufnahmeeinrichtung Maria-Ward in Eichstätt an. Hier sind sie in Sicherheit, haben ein Bett und Essen, Hoffnungen auf eine bessere Zukunft – aber keine Ahnung, wie es weitergeht.

Wie sieht der Alltag der Flüchtlinge aus? Wie verbringen sie ihre Zeit? Hier setzt das „Betreuungskonzept zur Tagesstrukturierung der Asylbewerber“ an. So sperrig der Titel, so simpel die Idee: Es geht darum, den Flüchtlingen einen geregelten und sinnvollen Alltag zu ermöglichen. Momentan sind etwa 100 Asylsuchende in der ehemaligen Mädchenrealschule am Residenzplatz untergebracht, manchmal sind es bis zu 250.

Die Tagesstruktur, die Diplom-Sozialpädagogin Sabine Faber (kleines Bild) und ihre Kollegen von der Betreuungsfirma Jonas Better Place bayernweit exklusiv in Eichstätt anbieten, fußt immer auf einem ernsten Hintergrund: „Keiner hier hat aus Freude am Reisen sein Land verlassen“, erklärt Sabine Faber. Im Gespräch mit Faber wird schnell deutlich: Die Flüchtlinge, die in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eichstätt in der Regel bis zu drei Monate auf die Weiterverteilung in andere Unterkünfte warten, sind keine homogene Menge. „Die Syrer“ oder „die Afrikaner“ lassen sich ebenso wenig über einen Kamm scheren wie „die Eichstätter“. Jeder Einzelne trägt seine eigene Geschichte mit sich herum. Sie warten auf ihre Asylverfahren – manche haben dabei gute Aussichten, bei anderen ist die Chance gering. Für alle hier gilt jedoch gleichermaßen: Sie warten, dürfen oder können nicht arbeiten, verstehen die Sprache nicht und suchen einen Halt im Alltag.

Hier kann die Tagesstruktur helfen: Im Foyer der Einrichtung hängt ein Wochenplan aus – in verschiedenen Sprachen. Natürlich sind auch Deutschkurse dabei – ganz praxisbezogen. Matthias Fendt und Miriam Gleixner, zwei Pädagogikstudenten, die kurz vor ihrem Abschluss stehen, vermitteln zum Beispiel Grundkenntnisse, die fürs Einkaufen wichtig sind: Wie sieht ein deutscher Supermarkt aus und was gibt es da für Lebensmittel zu kaufen? Schnell werden Unterschiede zwischen den Heimatländern und der neuen Zuflucht hierzulande deutlich: Granatapfelsaft? Kamelfleisch? Das wird man in Eichstätter Geschäften vergeblich suchen. Dafür gibt es durchaus „Coke“, „Fanta“ und „Sprite“ – diese Softdrinkmarken sind offenbar auf allen Kontinenten bekannt. „Wer weiß, was Milch ist? Milk? Kuh? Muh“ „Was ist Kuh“ Wenn Fendt und Gleixner mit einem Deutsch-Englisch-Gemisch sprachlich nicht weiterkommen, wird am Smartphone schnell das entsprechende Bild gesucht und gezeigt.

Nebenan puzzeln die studierten Psychologinnen Nathalie De Vos und Mareike Moje in aller Ruhe und Gelassenheit mit den Kindern im Spielzimmer – ganz ohne Stress und Hektik. Mit viel Ruhe und Gelassenheit vermitteln sie den oft traumatisierten und verängstigten Mädchen und Buben damit ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit – auch ohne große Worte. Die Kinder antworten mit einem zunächst zaghaften Lächeln und werden dann von Tag zu Tag aufgeschlossener und erkunden das ehemalige Schulgebäude. Dazu findet sich viel Sport im Angebot – und zwar für die Kinder und für die Erwachsenen. Gerade manche Männer hätten zu Beginn schon etwas gestaunt, wenn De Vos, Moje und ihre Kolleginnen auf dem Fußballplatz mitkicken: „Wir wurden aber schnell akzeptiert.“ Und so haben die Psychologinnen gleich zwei Ziele erreicht: Zum einen entlastet Sport die Bewohner auch psychisch und baut Aggressionen ab, zum anderen werden so spielerisch manche Werte ihres Zufluchtslandes vermittelt – hier speziell auch die Rolle der Frau, die sich selbstverständlich ebenso frei und selbstbestimmt bewegen darf wie ein Mann. Auch die Rechte der Kinder werden in Kursen und bei Alltagsübungen thematisiert. Und dann geht es wieder um so alltägliche Fragen wie: Wie fülle ich eine Waschmaschine?

Die Teilnahme am Tagesstrukturprogramm ist freiwillig. „Deshalb wissen wir nicht, wie viel Leute kommen, manchmal sind es zehn, dann wieder 50“, sagt Sabine Faber. Das Team sei jedoch auf alles vorbereitet. Die Stärke der Betreuer von Jonas Better Place ist ja bekanntlich, dass sie nicht nur als „Wachpersonal“ für die Sicherheit der Bewohner sorgen, sondern dass sie auch oft selbst einen Migrationshintergrund haben, mehrere Sprachen sprechen und auch psychologisch geschult sind. Unabdingbar sei jedoch ebenso „professionelle Distanz“ – so könne man auch den Leuten am besten helfen.

Und manche Sorgen lassen sich selbst mit fröhlichen Fußballspielen nicht ganz verdrängen – etwa die, wie es denn nun hier in Deutschland weitergeht und wie die zurückgebliebenen Familienangehörigen in der Heimat zurechtkommen.

Langeweile bestimmt den Alltag vieler Flüchtlinge, die in der Eichstätter Erstaufnahmeeinrichtung Maria-Ward eine vorübergehende Unterkunft gefunden haben. Warten, Langeweile und die Sorge um ihre Familienangehörigen in der Heimat. Und deshalb sind viele von ihnen dankbar für die Möglichkeit, am Marktplatz für eine Stunde kostenloses W-Lan nutzen zu können. Der Service, den die Stadt Eichstätt für ihre Bürger und ihre Feriengäste eingerichtet hat, gibt nun auch den Asylbewerbern Gelegenheit, via Internettelefon mit ihren Leuten zu Hause Kontakt zu halten.

Oft sitzen und stehen die Flüchtlinge mit ihren Smartphones in Gruppen um den Willibaldsbrunnen herum, so wie Vabdou (38), der seit einem Monat in Eichstätt ist, und Omar (25), der zwei Wochen gekommen ist, – beide stammen aus dem Senegal, sie sprechen ihre Landessprache und die dortige Amtssprache: Französisch. Sie sind, so sagen sie, sehr glücklich darüber, es hierher und in Sicherheit geschafft zu haben. Sie sind froh, dank ihrer Handys und des städtischen W-Lans, mit ihren Lieben zu Hause in Kontakt treten zu können – auch wenn die Nachrichten von dort nach wie vor sehr schlimm seien: Es gebe keine Zukunft und keine Sicherheit im Senegal, versichern sie. Genau deshalb hätten ihre Familien zusammengelegt, um wenigstens ihnen eine bessere Zukunft in Europa zu ermöglichen. Jetzt sind sie in der Erstaufnahmeeinrichtung Maria-Ward untergekommen. Sie hätten gerne mehr zu tun. Doch das Einzige, was sie derzeit tun können, sei: Warten.