Eichstätt
Kultiviertheit ist mehr als Expertenwissen

Ein Philosophischer Salonabend mit dem Künstler Sinan von Stietencron

17.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Eichstätt (EK) Was bedeutet es, kultiviert zu sein? Kann es überhaupt einen Menschen ohne Kultur geben? Und was hat die eigene Kultur mit Kreativität zu tun? Diesen Fragen widmete sich der junge Münchner Philosoph Sinan von Stietencron im Rahmen eines "kulturphilosophischen Salonabends".

Zu diesem Abend hatten Hubert Klotzeck und Stefan Lina, Mitinitiatoren des Bündnisses "Achtung Kultur Eichstätt", ins Café des Altstadtkinos geladen. Rund 50 Gäste, darunter auch Oberbürgermeister Andreas Steppberger und mehrere Stadträte, verfolgten den Vortrag und diskutierten über die Frage von "Kultiviertheit".

Philosophieren - das kommt für Sinan von Stietencron (Foto: Kusche) einer Schatzsuche gleich: "Wir verlassen die ausgetretenen Pfade unseres Alltagsdenkens und stellen uns den wirklich wichtigen Fragen." Mut, Kreativität und wachen Geist brauche man, um diesen Fragen zu begegnen, so lud der seit über zehn Jahren in der Lehrer- und Erwachsenenbildung tätige Künstler und Autor philosophischer Werke seine Gäste ein, sich im Rahmen eines "Fachsalons" auf eine philosophische Reise zu begeben. Das Grundproblem: Philosophieren bedeutet, Fragen des Menschseins mit dem eigenen Erfahrungsschatz anzugehen und auch zu beantworten. Daher gebe es keine "fertigen" Antworten auf spezifische Fragen.

Wie lässt sich "Kultiviertheit" überhaupt greifbar machen? - so lautete die erste große Fragestellung, die zunächst mit einem zehnminütigen interaktiven Gespräch zwischen Gästen und Referent thematisiert und dann durch die Erarbeitung von sieben Merkmalen näher definiert wurde. Ein gepflegtes Äußeres, angemessene Kleidung, Höflichkeit und gehobene Umgangsformen stellten ebenso wie eine ästhetisch gestaltete Lebensumgebung und ein Verhältnis zur Ordnung wichtige Kriterien für eine kultivierte Lebensweise, stellte der Referent fest. Doch auch Sensibilität, Taktgefühl und das berufsunabhängige Wissen über Künste und Gesellschaft gehörten dazu. Bezug nahm Stietencron auf den britischen Philosophen Alfred North Whitehead (1861 - 1947). Dieser betrachte die Welt nicht als statische, von Materie und Dingen bestimmte Substanz, sondern als fortlaufenden Prozess an. Antreibender Faktor in diesem Prozess sei die Kreativität des Menschen. In seinem Werk "Ziele von Erziehung und Bildung" (1929) beschreibt Whitehead "Kultiviertheit" als "gedankliche Aktivität, Empfänglichkeit für Schönheit und Gefühle der Menschlichkeit". Totes Wissen oder passive Ideen hätten mit Kultiviertheit nichts zu tun: "Ein bloß gut informierter Mensch ist der nutzloseste Langweiler auf Gottes Erde", zitierte Stietencron den englischen Philosophen.

"Kultiviertheit", so Stietencrons Schlussfolgerung, sei "eine verfeinerte Lebensform, die über alles Notwendige, über Fachkompetenz und Expertenwissen hinausgeht". Weiterhin könne Kultiviertheit als Sensibilität für eine - nicht notwendigerweise offensichtliche - Schönheit, Ästhetik und Harmonie betrachtet werden. Und schließlich impliziere Kultiviertheit auch eine moralische Kompetenz.

Viel Zeit widmete Stietencron auch der Frage, wer eigentlich wen kultiviere: "Man kultiviert sich primär selbst. Dies basiert auf der Eigenaktivität des Organismus, sich für etwas zu engagieren oder etwas Bestimmtes tun zu wollen", so die Antwort Stietencrons. Doch natürlich gebe es auch eine "Kultivierung von außen". Hier sei vor allem die Frage ausschlaggebend, ob und in welchem Maße jedem kulturell Aktiven und Engagierten konkrete oder virtuelle Räume zur Verfügung gestellt werden, um Kultur sichtbar zu machen: Dass sich vor allem in Eichstätt das große Problem fehlende Räume für vielfältig kulturell Aktive, gerade auch für junge Menschen, stelle, betonten viele Anwesende mit Nachdruck.

Was tun, um, wie es der Münchner Philosoph und Künstler formulierte, ein erfolgreicher "Gärtner in der eigenen Kulturlandschaft" zu sein? "Wichtig ist, die Vielfalt unserer Werte wieder neu zu entdecken", meint Stietencron. Werte - das sind eben nicht nur monetäre, messbare, real greifbare Aspekte des Lebens, die "praktisch" und "notwendig" sind, sondern auch, sich Zeit zu nehmen für die Frage: Was ist eigentlich wirklich wichtig?

Für Eichstätt hielt der Philosoph Ratschläge bereit: "Nutzt öffentliche Räume und fordert öffentliche Räume ein, die gestaltet und belebt werden." Dies erfordere Mut und die Bereitschaft der Stadtverwaltung, in diesem Bereich verstärkt tätig zu werden. Durch höhere Wertschätzung von Kunst und Kultur wachse auch die Wertschöpfung aus einem solchen Engagement.