Eichstätt
Ein Rat, der Putin auf die Palme brachte

TV-Journalist Hubert Seipel erzählte in Eichstätt von seinen Begegnungen mit dem russischen Präsidenten

20.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:37 Uhr

Hubert Seipel stellte in Eichstätt seine Monographie "Putin - Innenansichten der Macht" vor. - Foto: Buckl

Eichstätt (wbu) "Wladimir Putin ist für viele die Inkarnation des Bösen", bilanziert der TV-Journalist Hubert Seipel schon zu Beginn seiner Lesung in Eichstätt - um dieser Ansicht dann ein völlig anderes und tatsächlich differenziertes Bild von Putin entgegenzusetzen.

In seiner Monografie "Putin - Innenansichten der Macht" zieht er ein Fazit aus zwei Dutzend Begegnungen mit dem russischen Präsidenten, dem kein anderer Journalist des Westens so nahe kam wie Seipel. Die Eichstätter Buchhandlung Rupprecht war daher gut gefüllt, als Seipel dort sein Buch vorstellte.

Dass sich sein Bild von Putin von der öffentlichen Mainstream-Meinung des Westens stark unterscheidet, macht er von Anfang an klar: Der üblichen Ansicht, dass Putin mittels Hacker-Angriffen mitverantwortlich sei für Wahlkampf-Manipulationen in den USA und Trumps Sieg, begegnet er mit Ironie: Ein paar russische Hacker sollten Silicon Valley übertölpelt haben können? Seipel propagiert dagegen politische Mündigkeit der Wähler. Dass westliche Imagination zu Putin oft durchgehe und "die Gerüchteküche auf Hochtouren zum Laufen" bringe, zeigte er im ersten Kapitel seines Buches: Welche Blüten produzierten die Medien im März 2015, als Putin einige Tage lang nicht öffentlich auftrat: Schlaganfall, Palastrevolution, Kerkerhaft im Kreml? Gar ein Besuch in der Schweiz, da dort eine Geliebte entband? Der Grund war banaler: Putin hatte eine schwere Erkältung und Fieber. Der 1950 geborene Autor gilt als investigativer Journalist, dessen eigentliches Metier heiße Eisen sind: Er befasste sich mit der VW-Korruptionsaffäre, den Gazprom-Geschäften und der Hypo Real Estate-Affäre; als weltweit erster Journalist interviewte er auch den Whistleblower Edward Snowden, 2009 erhielt er den Grimme-Preis.

Nun also das Thema Putin. Zu Beginn erzählt Seipel, wie er dazu kam, Putin monatelang zu begleiten: Vor acht Jahren richtete er eine Routineanfrage an die Pressestelle des Kremls, er wolle Putin für ein Film-Porträt der ARD, die Dokumentation "Ich Putin - ein Porträt", interviewen. Diese blieb viele Monate lang unbeantwortet, wenige Tage vor der geplanten Ausstrahlung erreichte ihn aber ein Anruf aus Russland: "Können Sie morgen nach Moskau kommen" Seipel konnte. Dort musste er akzeptieren, dass ein Team des Staatsfernsehens mitdrehte. Umgekehrt akzeptierte Putin seine Bedingungen: Seipel sollte ihn monatelang begleiten und mehrere weitere Interviews mit ihm führen dürfen, es gebe keine Detailfragen vorab, nur Themenkomplexe würden vereinbart, Putin bekomme den Film nicht vorher zu sehen. Mit einer Bedingung Putins wiederum konnte Seipel gut leben: Putin ließ keine Fragen über sein Privatleben zu. "Denn ich bin gewählt, meine Frau und Kinder nicht". Seipels Replik: "In Ordnung, ich bin ja nicht von der ,Gala'!"

Seipel sei sich bewusst gewesen, dass Putin ihn instrumentalisieren könne, denn: "Politiker benutzen Journalisten - wie auch umgekehrt! Die Währung, die ausgetauscht wird, ist Information!" So konnte Seipel tiefe Einblicke in Putins Logik und seine Sicht der Dinge werfen - etwa über Trump, den Putin als "einen sehr schillernden Menschen" sieht - laut Seipel ein Kompliment. Trumps Vorstellung, Putin als Verbündeten gegen China gewinnen zu können, sei freilich illusionär. Bei einem Flug habe Putin zu ihm über die Chinesen gesagt: "Wir sind 140 Millionen, die sind 1,5 Milliarden - ich kann zählen!"

Seipel spricht über Putins schlechtes Verhältnis zu Hillary Clinton und den diplomatischen Fauxpas, der Merkel mit Russland unterlaufen sei in der Forderung nach Rückgabe von Beutekunst zu einem denkbar unpassenden Termin. Er bricht manche Lanze für Putin: "Wir sollten ihm nicht dauernd Ratschläge geben!" Denn der Rat, die russischen Schwulengesetze wieder abzuschaffen, "brachte Putin auf die Palme, da rastete er regelrecht aus!" Er sei als Russe nicht verpflichtet, sich dem Grundgesetz zu unterwerfen. Und: "Bei der Osterweiterung der NATO wurden vom Westen mündliche Versprechen gebrochen." Dennoch stellte ihm Seipel auch keinen Persilschein aus: Natürlich habe er im Syrien-Konflikt Blut an den Händen, aber eben nicht er allein.

Das Eichstätter Publikum erwies sich in der Diskussion als Spiegelbild der allgemeinen Öffentlichkeit: Einerseits gab es Anerkennung und Lob für Seipels oft differenzierte Sicht und seine Recherche aus erster Hand - andererseits den latenten Verdacht, dass der Journalist dem Politiker auch ein Stück weit auf den Leim gegangen sein könnte.